Gelsenkirchen. Was hat Angela Merkel für Frauen in Führungspositionen verändert? Chefinnen aus Gelsenkirchen sagen ihre Meinung zur Gleichberechtigung.
18 Jahre Angela Merkel – und jetzt geht sie. Wobei sie ja noch nicht von der Bildfläche verschwindet. Zunächst zieht sie sich am Freitag beim Parteitag in Hamburg als Chefin der CDU zurück, der Anfang vom Ende ihrer Rolle als erste deutsche Regierungschefin, als mächtigste Frau der Welt (Forbes-Ranking 2018).
Und was hat das mit Gelsenkrichen zutun?
Ganz viel, sagen elf Frauen, mit denen wir uns in den vergangenen Wochen ausgetauscht haben. „Die Chefin geht: Was bleibt von ihr?“ – unter dieser Überschrift haben wir weibliche Führungspersönlichkeiten in Gelsenkirchen gebeten, uns Fragen zu beantworten.
Das sind ihre Antworten
Chefin von Viva-Vest: Von Gleichberechtigung noch ein ganzes Stück entfernt
"Ich habe mit Angela Merkel die Beharrlichkeit und Durchsetzungsstärke gemeinsam. Die Tatsache, dass Angela Merkel, also eine Frau, so lange an der Macht war und als mächtigste Frau der Welt auch international einen guten Job gemacht hat, hat das Klima für Frauen mit Karriereambitionen verändert. Und zwar nicht nur, weil sie lange an der Macht war, sondern weil sie über viele Jahre in höchstem Maße anerkannt war.
Um als Frau zu führen bzw. in eine Führungsposition zu kommen, muss man Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten tatsächlich wollen und auch fordern. Nach meiner Erfahrung führen Frauen tendenziell kooperativer und teamorientierter. Für ganz Deutschland gesehen sind wir von Gleichberechtigung noch ein ganzes Stück entfernt.“
Claudia Goldenbeld (52), Geschäftsführerin Viva-West
Chefärztin: Qualität ist wichter als eine Quote
„Unter Frau Merkel wurde Einiges eingeführt, das Frauen geholfen hat. Beschäftigungsschutzgesetz, Ausdehnung der Elternzeit, Frauenförderung in der Bundesverwaltung, Änderungen am § 218, die besseren Kitaöffnungszeiten. Das Wichtigste ist in meinen Augen aber die sehr gute Wirtschaftsentwicklung in Deutschland, die die Arbeitslosigkeit stark gesenkt und freie Stellen geschaffen hat. Dadurch haben Millionen Frauen die Chance auf einen Arbeitsplatz damit die Chance bekommen, zu zeigen, was sie können.
Die Frauenquote spielt für mich nur bedingt eine Rolle. Wichtiger sind Qualität und Knowhow, und es gibt viele kompetente Frauen. Je mehr von ihnen die Chance bekommen, sich am Arbeitsplatz zu entwickeln, desto mehr können sie Akzente setzen.
Dr. Sigrid Kaminiorz (58), Chefärztin am Bergmannsheil Buer
Susanne Minten: Gemischte Führungsteams sind kreativer
"Dr. Angela Merkel hat den Zusammenhang von Frauenförderung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer wieder deutlich gemacht. Es hat sich gezeigt, dass dort, wo dies konsequent angewandt wird, die größten Erfolge zu erzielen sind. Das gilt für Unternehmen wie für die Gesellschaft insgesamt. Da können wir alle noch besser werden – aber Anfänge sind gemacht.
Das Potential der Frauen in Top-Positionen ist längst noch nicht ausgeschöpft. Da muss und kann auch in unserem Unternehmen noch mehr geschehen. Ich bin im Grunde kein Befürworter einer Quote. Aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre glaube ich aber, dass zumindest eine befristete Zeit der Frauenquote nötig ist um allen Entscheidern deutlich zu machen: Die Mischung macht’s! Studien zeigen, dass gemischte Führungsteams effizienter und kreativer sind. "
Susanne Minten (53), Geschäftsführerin der St. Augustinus GmbH, Chefin von 4500 Mitarbeitern
Ballettchefin: Ich habe einen weiblichen Führungsstil
"Ich glaube daran, dass Frauen meiner und auch jüngerer Generationen mittlerweile mit Überzeugung als Führungsfiguren neben Männern in der Arbeitswelt stehen. Für viele von uns ist es bereits so selbstverständlich, dass wir vergessen haben, wie es für Frauen früherer Generationen gewesen wäre bzw. dass Frauen wie Angela Merkel uns in dieser Hinsicht den Weg geebnet haben. Viele von uns erklären sich nicht als Feministinnen, aber wir haben dieses Privileg nur aufgrund der Tatsache, dass die älteren Generationen darum gekämpft haben. Und dies soll nicht heißen, dass wir es heute einfach haben in Führungspositionen als Frau. Stereotypen gibt es immer noch.
Ich selbst sehe mich nicht als weibliche Führungsperson mit weiblichem Führungsstil. Ich sehe mich selbst als jemand, der anleitet und eine Vision verfolgt mit allen Charakteristika, die zu mir gehören, unabhängig vom Geschlecht.
Vielleicht haben wir jemandem wie Angela Merkel einfach zu verdanken, dass wir in der Lage sind so über uns zu denken, als Menschen mit bestimmten Fähigkeiten und weniger als Frauen mit einem Nachteil."
Bridget Breiner (44), Ballettchefin am Musiktheater im Revier (MIR)
Bildungsdezernentin: Merkel hat ein Zeichen gesetzt
"Angela Merkel überzeugt durch ihre Kontinuität, Beharrlichkeit und ihre Sachorientierung. Es wäre schön, wenn wir diese Eigenschaften teilten. Sicher hat Angela Merkel als langjährige Frau an der Macht für viele junge Frauen ein Zeichen gesetzt, dass sehr wohl Frauen in herausfordernden Führungspositionen bestehen können.
Es bleibt aber viel zu tun. Frauen in Führungspositionen benötigen meines Erachtens innere Überzeugung, Mut, Standfestigkeit, Klugheit und insbesondere Unabhängigkeit. Einen weiblichen Führungsstil gibt es sicher so allgemein gültig nicht. Für mich gilt ein kooperativer und potenzialfördernder Führungsstil, der klaren Zielvorstellungen folgt. Gleichberechtigung ist leider noch lange nicht erreicht.“
Annette Berg (51), Dezernentin Bildung und Kultur Gelsenkirchen
Maike Selter-Beer leitet eine Sportschule mit dem Schwerpunkt Fußball
"An meiner ersten Schule bestand die Schulleitung aus sechs Männern und einer Frau. Heute leite ich eine NRW-Sportschule mit dem eher männlich orientierten Schwerpunkt Fußball, doch die Schulleitung ist nahezu paritätisch besetzt. Das ist ein großer Erfolg für die Gleichstellung der Geschlechter.
Angela Merkel als erste Frau im Kanzleramt hat viel dazu beigetragen, dass sich Rollenerwartungen gewandelt haben. Führungsqualitäten von Frauen sind gefragt. Dennoch müssen Frauen für eine Akzeptanz häufig noch stärker kämpfen, da Frauen nicht so umfangreich untereinander vernetzt sind wie ihre männlichen Kollegen. Daran sollten Chefinnen in Zukunft arbeiten. Eine Frauenquote für Führungspositionen lehne ich ab, die Qualität der Arbeit sollte alleiniges Kriterium sein.“
Maike Selter-Beer (60), Schulleiterin Gesamtschule Berger Feld
Profi-Schützin: Erfolg zu haben, ist für Frauen nicht schwieriger
"Erfolg ist für mich, dass ich für Fleiß und Leistung belohnt werde. Ich denke nicht, dass es für Frauen schwieriger ist, Erfolg zu haben. Jeder Mensch hat das gleiche Recht erfolgreich zu sein. Disziplin, Durchhaltevermögen, Fleiß und Willen sind wichtig. Natürlich gibt es Sportarten, die eher von weiblichen Personen durchgeführt werden und solche, die eher von Männern dominiert werden.
Aber beim Schießen ist jede Person gleichberechtigt. Bei gemischten Teams, wie z.B. unserem Bundesligateam, wird der Bessere eingesetzt – egal ob Mann oder Frau.“
Lisa Tüchter (25), Profi-Luftgewehrschützin BSV Buer-Bülse
Leane Schäfer: Merkel hat das Klima für Frauen verändert
Die Tatsache, dass Angela Merkel, also eine Frau, so lange an der Macht war, hat das Klima für Frauen mit Karriereambitionen vor allem zu Beginn von Merkels Amtszeit verändert – weil es als außergewöhnlich wahrgenommen wurde. Aber je länger ihre Amtszeit dauerte, desto selbstverständlicher wurde es.
Als Chefin braucht man Energie, Durchsetzungskraft und einen langen Atem. Multitasking auf vielen Ebenen und ein Gespür für Harmonie, Ausgleich gehören für mich zum weiblichen Führungsstil. Egal ob gut oder nicht! Gleichberechtigung ist in meinen Augen noch keine Selbstverständlichkeit. Dafür muss noch konstruktiv gestritten werden, wodurch die Tatsache in Diskussion bleibt.“
Leane Schäfer (62), Leiterin des Kunstmuseums Gelsenkirchen
Awo-Geschäftsführerin: „In den Köpfen gibt es Vorurteile“
Es gibt immer noch sehr wenige Frauen in den Vorständen der DAX-Unternehmen. Und die Anzahl der Frauen im Bundestag liegt unter 50 Prozent. Wer als Frau führen will, der braucht fachliche, soziale und emotionale Kompetenz, wie jeder Mann sie auch haben sollte. Wichtig ist die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.
Erfolgreich ist ein vernetzender, situativer Führungsstil, der Kollegen und Kolleginnen beteiligt. Authentisch sollte er sein. Da gibt es keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern. Vor dem Gesetz ist Gleichberechtigung erreicht. In den Köpfen gibt es immer noch Vorurteile gegenüber Frauen in Führungspositionen und Männern, die in Elternzeit gehen.“
Gudrun Wischnewski (58), Geschäftsführerin Awo-GE/BOT
Polizeichefin: Führungskompetenz kennt kein Geschlecht
Auch vor Angela Merkel sind kompetente, motivierte Frauen mit Karriereambitionen erfolgreich ihren Weg gegangen. Ich denke da an die Verfassungsrechtlerinnen bei der Verfassungsgebenden Versammlung, also der Geburtsstunde unserer Demokratie. Annemarie Renger beispielsweise war von 1972 bis 1976 Präsidentin des Deutschen Bundestages und damit die erste Frau der Welt an der Spitze eines frei gewählten Parlaments.
Für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist es außerdem absolut positiv, wenn neben Männern auch zunehmend erfolgreiche Frauen in herausgehobenen Positionen in den Medien präsent sind. Führungskompetenz ist meiner Ansicht nach geschlechtsneutral. Neben hoher fachlicher Kompetenz braucht man Verantwortungsbewusstsein, Empathie, Geduld, Selbstreflexion und Durchsetzungsvermögen, aber auch ein gewisses Maß an Anpassungsfähigkeit; und schlussendlich das erforderliche Quäntchen Glück.
Gleichberechtigung ist noch nicht erreicht. Wir sind auf dem Weg, aber es sind noch viele Meter zu gehen. Wenn ich auf meinen Bereich, das Polizeipräsidium Gelsenkirchen blicke, so sind die Führungsfunktionen im gehobenen Dienst weitaus überwiegend von Männern besetzt. In Bezug auf die Gleichberechtigung ist daher noch einiges an „Luft nach oben.“ Das Ziel ist, mehr Frauen in Führungsfunktionen zu bekommen.“
Anne Heselhaus-Schröer, (55), Polizeipräsidentin Gelsenkirchen
Kämmerin: Gleichstellung ist immer noch Zukunftsvision
"Ohne Zweifel ging von der Wahl Angela Merkels im Jahr 2005 eine Signalwirkung aus. Nichtsdestotrotz hängt das Klima für Frauen auch immer von den Rollenbildern ab, die die Akteure in sich tragen. Ich bezweifle, dass sich das Klima für Frauen mit Ambitionen durchgehend verändert hat.
Meiner Erfahrung nach brauchen Frauen in Führungspositionen grundsätzlich das gleiche wie ein Mann: klare Vorstellungen von Aufgabe und Rolle, Kompetenzen in Strategie, Methode, Kommunikation und dem jeweiligen Fach sowie die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Ist Gleichberechtigung erreicht? Ja und Nein; vollständige Gleichstellung ist immer noch Zukunftsvision. Es liegt auch an uns Frauen, ihr täglich noch ein Stück näherzukommen.“
Karin Welge (56), Kämmerin in Gelsenkirchen
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