Gelsenkirchen-Buer. Nötig war ein Pferd nicht zum Frommsein im alten Kirchspiel Buer – aber sehr hilfreich: Denn die Wege zur Kirche waren für viele Gläubige weit.

Sicher: Wirklich notwendig war ein Pferd zum Frommsein nicht im Kirchspiel Buer – aber sehr hilfreich. Denn die Wege von den zwölf Bauerschaften zur einzigen Kirche im 60 Quadratkilometer großen Pfarrbezirk, sie waren nicht nur im Mittelalter weit. Erst 1892 wurde mit St. Barbara in Erle eine zweite (katholische) Kirche geweiht, ein Jahr später mit der Apostelkirche dann das erste evangelische Gotteshaus. Ein Glück nicht nur für die Gläubigen, sondern auch für den Herrn Pastor.

Denn die Pastoren beklagten sich bei Visitationen manchmal, dass sie die Sterbenden in den Bauerschaften wegen der weiten Entfernungen nicht rechtzeitig versehen könnten“, berichtet der Philologe und Heimatforscher Carl-Heinrich Lueg. Dabei stand ihnen sogar ein Pferd zur Verfügung.

„Buerscher Armenpott“

Heimatforscher Carl-Heinrich Lueg recherchierte in vielen Quellen zur Lokalgeschichte und publizierte u.a. ein Buch über die Sieben-Schmerzen-Kapelle.
Heimatforscher Carl-Heinrich Lueg recherchierte in vielen Quellen zur Lokalgeschichte und publizierte u.a. ein Buch über die Sieben-Schmerzen-Kapelle. © Gerhard Schypulla

Auch für den (freiwilligen) Besuch der Kirchspielschule – bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts war die Pfarrgemeinde der Träger – mussten die Kinder in den Bauerschaften mehrere Kilometer zurücklegen. Allzu viel gelernt haben sie dort nach heutigem Verständnis eher nicht. „Der Lehrer – ein von der Kommune bestellter Gemeindeküster – hat wohl hauptsächlich Religionsunterricht erteilt, Schreiben und Rechnen nicht“, so Lueg. Sprich: Das Analphabetentum war beim Volk noch lange weit verbreitet. Zumeist waren es nur Adelsangehörige, die Lesen, Schreiben und Rechnen lernten.

Bis unter Bismarck die ersten Sozialgesetze in Kraft traten, war es die Kirche, die sich in der Armenfürsorge engagierte. „In der Nähe des Gotteshauses gab es ein Armenhaus, in dem Alte, Kranke und Arme versorgt wurden, die keine Familie hatten. Sie erhielten Kleidung und Schuhe, Holz zum Heizen und Brot“, berichtet Lueg. Das Geld dafür stammte aus einer Armenstiftung, in die Gelder aus Nachlässen flossen. Aus diesem „Buerschen Armenpott“, wie das Volk den Fonds nannte, wurde Geld als Darlehn ausgegeben, von dessen Zinsen wiederum die Armenfürsorge finanziert wurde.

„Feisten Hammel und eine Tonne Bier“ zur Flursegnung

Die alte St.-Urbanus-Kirche, errichtet wohl im 13. Jahrhundert, überragte die Fachwerkhäuser im Dorf Buer und war bis weit ins Kirchspiel zu sehen.
Die alte St.-Urbanus-Kirche, errichtet wohl im 13. Jahrhundert, überragte die Fachwerkhäuser im Dorf Buer und war bis weit ins Kirchspiel zu sehen. © ANB

Auch kirchliche Bruderschaften übernahmen soziale Aufgaben. Zunächst als spirituelle Gebets- und Andachts-Einrichtungen nach den Epidemien des 14. Jahrhunderts gegründet, standen sie später Sterbenden bei und organisierten ein würdiges Begräbnis.

Religiös als Flursegnung umgedeutet war die anfangs dreitägige Festprozession, die seit 1566 im Juni bezeugt ist. Entstanden in heidnischer Zeit, um das Böse abzuwehren, schritten die Bewohner der Bauerschaften abschnittsweise die Grenzen des Kirchspiels ab. Auf dem Hof Wiebringhaus in Scholven übernachtete ein Teil der Gruppe – und musste natürlich auch mit Essen versorgt werden. „So wenige Leute können das nicht gewesen sein. Eine Quelle listet einen ,feisten Hammel und eine Tonne Bier’ auf“, so Lueg.

Ausgrenzung und Hexenverfolgung

Dass die tiefe Religiosität nicht nur Halt gab, sondern auch zur Ausgrenzung beitrug, belegen die Quellen aber ebenso. 1706 etwa wurde Anna Spiekermann wegen Zauberei nach einem Gerichtsprozess hingerichtet. Zwar fand dies in Westerholt statt – das religiöse Bewusstsein dort dürfte aber dem in Buer nicht so unähnlich gewesen sein. So berichtet eine Chronik etwa, dass 1822 die ledige Maria Catharina W. aus Bülse ihr Kind abgetrieben und heimlich vergraben habe. Als dies entdeckt wurde, verstieß man sie aus ihrem Elternhaus in Hassel und stellte sie vor das Landgericht in Dorsten. „Wie ledige Mütter im Kirchspiel behandelt wurden, dazu sind mir keine Quellen bekannt. Tatsache ist aber, dass die Namen unehelicher Kinder etwa auf dem Kopf stehend in die Kirchenbücher eingetragen wurden. Die Schreibweise ihres Namens gab Zeit ihres Lebens Aufschluss über ihre Herkunft“, so Lueg.

>>>Info: 3000 Menschen lebten 1570 im Kirchspiel

Das Kirchspiel Buer umfasste die Bauerschaften Scholven, Hassel, Löchter, Eckerresse, Surresse, Middelich, Erle, Sutum, Beckhausen, Holthausen und Bülse.

Um 1570 lebten im Kirchspiel etwa 3000 Menschen, im Dorf waren es 500. In den Jahren vor Beginn des Bergbaus (um 1875) waren es insgesamt rund 5000.