Gelsenkirchen. . Mehr Gerechtigkeit und die Weiterentwicklung des Sozialstaats: Der Vorstoß von Thomas Kutschaty trifft in der Gelsenkirchener SPD auf Zustimmung.

Kritiker und Befürworter von Alt-Kanzler Schröders Arbeitsmarktreformen werden gestaunt haben: Der Chef der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, Thomas Kutschaty, sagte im WAZ-Interview, er wolle Hartz IV wieder abschaffen. Zur Begründung nennt er Kritikpunkte, die schon 2004 diskutiert wurden.

„Ich hätte es besser gefunden, wenn man 2004 gewisse Änderungen, die jetzt gewünscht sind, verabschiedet hätte“, sagt der sozialpolitische Sprecher der SPD-Ratsfraktion, Axel Barton. Grundsätzlich sei die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe nicht schlecht gewesen. Aber eben nicht für alle. „Wenn etwa ein 55-Jähriger, der sein Leben lang gearbeitet hat, arbeitslos wird, müssten für ihn die Grenzen des Selbstbehaltes erhöht und die Laufzeit von Arbeitslosengeld I verlängert werden.“ War Barton über Kutschatys Kampfansage an Hartz IV überrascht? „Wir haben ja in den letzten Wochen immer wieder solche Pressenotizen gehabt. Da konnte man schon drauf kommen, dass da oben was passiert.“

Gerecht und gut für das Land

SPD-MdL Sebastian Watermeier hält Kutschatys Vorstoß für eine gute Idee. „Schon Gerhard Schröder hat gesagt, dass die Agenda nicht in Stein gemeißelt ist, angepasst werden muss. Diese Debatte, wie es mit dem Sozialstaat weitergeht, wie er sich weiterentwickeln kann, muss in einer großen Partei wie der SPD angestoßen werden,“ ist er überzeugt. „Es entspricht nicht meinem Gerechtigkeitsempfinden, wenn ein junger Mensch, der nie gearbeitet hat, genauso behandelt wird wie ein langjährig berufstätiger 50-Jähriger nach einem Jahr Arbeitslosigkeit.“ Watermeier wünscht sich eine leistungsorientierte Komponente in der Unterstützung.

„Die Arbeitsmarktreformen waren ja bei ihrer Einführung schon hoch umstritten“, stellt OB Frank Baranowski in seiner Eigenschaft als Sprecher der Ruhr-SPD fest. „Obwohl das alte System auch nicht mehr zeitgemäß war und es heute sicher auch nicht wäre, waren bereits in der Reform soziale Unwuchten angelegt. Doch wenn man falsche Wege erkennt, dann muss Politik auch bereit und in der Lage sein, Fehler einzuräumen und Dinge besser zu machen.“ Hartz IV sei so ein Beispiel. „Die ursprüngliche Idee der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe war es, die kommunale Sozialhilfe überflüssig zu machen und die Städte zu entlasten, die Verweildauer in der Arbeitslosigkeit zu verringern und die Vermittlungschancen zu erhöhen.“ Das Gegenteil sei passiert: Kosten der Unterkunft belasteten städtische Haushalte, Langzeitarbeitslosigkeit habe sich verfestigt, Armut sei gewachsen.

Für ihn gehöre Gerechtigkeit in den Mittelpunkt. „Mein Eindruck ist, dass die Menschen darauf warten.“ Viele hätten die Nase voll von Angstmachern, Populisten und rechten Hetzern. Baranowski: „Um dem zu begegnen, müssen wir Vorschläge zur Weiterentwicklung unseres Sozialstaates machen, die nicht nur gerecht sind, sondern auch das Land voranbringen.“

Blanke Existenzangst abmildern

Kutschaty steht nach Auffassung von Martin Gatzemeier (Linke) „so ziemlich alleine da“. Die angedachte Verlängerung der ALG I-Bezüge und mehr Rücksicht auf das Schonvermögen Betroffener sieht Gatzemeier allenfalls als „kleinere Korrekturen“, nicht jedoch als „den großen Wurf“. Für ihn und Die Linke bleibt es bei der Forderung nach Abschaffung von Hartz IV und der Einführung „einer sanktionsfreie Mindestsicherung über Hartz IV-Niveau“.

Sozialpfarrer Dieter Heisig kann Kutschatys Vorschlag inhaltlich mehr abgewinnen. Heisig, der einer Selbsthilfegruppe Hartz IV zur Seite steht, sieht in der Idee die Chance, die blanke Existenzangst Betroffener abzumildern. Immerhin seien durch die Hartz-Reformen viele soziale Errungenschaften verloren gegangen. Früher wäre es unmöglich gewesen, dass ein arbeitsloser Ingenieur sich als Müllwerker durchschlagen müsse, heute schon. Der Fall Betroffener ins schier Bodenlose würde durch geplante Überarbeitung abgemildert. Heisigs Erfahrung mit dem aktuellen Hartz IV-System: „Wer einmal unten ist, kommt nicht mehr hoch.“

>> Hartz: „System, mit dem Arbeitslose bestraft werden“

Alt-Kanzler Gerhard Schröder hatte im Bundestagswahlkampf 2002 zugesagt, die Vorschläge aus dem Hartz-Konzept „eins zu eins“ umzusetzen, dies wurde jedoch nicht verwirklicht. Peter Hartz war auch unzufrieden. Im Buch „Macht und Ohnmacht“ stellte er fest: „Herausgekommen ist ein System, mit dem die Arbeitslosen diszipliniert und bestraft werden.“