Gelsenkirchen/Berlin. . Der Konflikt zwischen CDU und CSU hat seinen Höhepunkt erreicht. Die WAZ befragte die beiden Gelsenkirchener Abgeordneten nach ihrer Meinung.
„Ich habe den Eindruck, dass es hier nicht mehr um die Sache, sondern nur noch um Machtspiele geht!“ Oliver Wittke, Gelsenkirchens CDU-Vertreter im Bundestag, bringt die aktuelle Regierungskrise in Berlin ziemlich auf die Palme. Denn für ihn ist die Sache eigentlich klar: „Erst kommt das Land, dann die Partei und dann die Person.“
Wittke kann Zuspitzung des Konflikts nicht verstehen
Auf Horst Seehofer, der genannte Prioritätenfolge offenbar anders setzt, richten sich zurzeit alle Blicke. Tritt er zurück? Tritt er nicht zurück? „Ich gehe davon aus, dass er seine Konsequenzen ziehen wird“, so Wittke. Verstehen kann er die Zuspitzung des Konflikts nicht: „Das ist strategisch keine Meisterleistung.“ Die Ergebnisse von Merkels Europa-Gipfel hätte die CSU vielmehr als ihren Erfolg verkaufen sollen, findet Wittke. „Dass Merkel ein solches Ergebnis erreicht – damit hat doch kaum jemand gerechnet.“ Will sagen: Ohne den Druck der Schwesterpartei hätte das vielleicht auch anders ausgesehen.
Apropos Schwesterpartei: Wittke möchte den Zusammenhalt der Union wahren. „Ich möchte keine zwei Parteien in ganz Deutschland mit einem C.“ Er hofft aber, dass es in letzter Konsequenz nicht zu einem derartigen Bruch kommen wird. „Da hat die CSU auch kein Interesse dran. Merkel ist in Bayern beliebter als Seehofer.“
„Gefährlich, in politischen Egoismus zurückzufallen“
Eine andere Sorge treibt ihn mehr um: „Die gefährlichste Situation ist, dass wir in Europa in den politischen Egoismus zurückfallen. Natürlich muss man Verständnis für Italien und Griechenland haben. Die können das Thema Flüchtlinge nicht alleine stemmen. Aber wir Deutschen können auch nicht die Einzigen sein, die den beiden Staaten helfen.“ Was Wittke besonders ärgert, ist, dass das Thema zurzeit keines ist. „Von den 890 000 Flüchtlingen in 2015 sind wir zurzeit weit entfernt. Wir sind im Moment aufs Jahr gerechnet nicht mal bei 200 000. Deshalb redet ja auch niemand mehr über die Obergrenze.“
Gleiches ärgert auch den SPD-Bundestagsabgeordneten Markus Töns. „Das alles hinterlässt einen schweren Schaden beim Vertrauen der Menschen in die Parteien und die Demokratie.“ Das Risiko, dass die Regierung am Streit der Unions-Parteien zerbrechen könnte, schätzt er als hoch ein – wobei er nicht direkt an Neuwahlen denkt. „Ohne CSU würden der Regierung zwei Stimmen zur Mehrheit fehlen. In Sachfragen wird man immer jemanden finden, der für die nötige Mehrheit sorgt.“ Töns verweist auf seine Erfahrung in Sachen Minderheitsregierung: Zur Zeit der rot-grünen Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen von 2010 bis 2012 gehörte er dem Landtag an.
Die Parlamentskarriere des Markus Töns in Land und Bund begann eben nicht erst mit der jetzigen Legislaturperiode. „Ich habe lange überlegt, ob ich schon mal eine solche Situation erlebt habe“, sagt er. Und sagt klar: „Nein!“ Das Chaospotenzial der CSU sei zurzeit nicht mehr zu beschreiben. „Keiner hat so lange mit sich gerungen, in diese Regierung einzutreten, wie die SPD. Und ausgerechnet die CSU, die den Koalitionsvertrag mit unterschrieben hat, sagt nach gut 100 Tagen: Das geht nicht.“ Töns sagt, er befinde sich irgendwo zwischen Kopfschütteln und der Frage, ob es noch lächerlicher geht.
In der Asylfrage will Töns keinen deutschen Alleingang
Mehr als die eigene Schwesterpartei unterstützt der SPD-Politiker Töns den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), in der Flüchtlingsfrage keine nationalen Alleingänge zu veranstalten. „Ohne eine europäische Lösung geht es nicht“, so Töns, der auch Gelsenkirchener SPD-Chef ist. „Wenn Deutschland die Grenzen zumacht, dann macht Österreich sie zu, dann macht Italien sie zu – man kann sich ungefähr vorstellen, was das mit unserem freien Europa macht.“
Eine Position, die auch Oliver Wittke teilt: Es dürfe keine Politik unter dem Motto „Germany first“ geben.
>> INFO-BOX: TÖNS SIEHT HAUPTSCHULD BEI DER CSU
Die Hauptschuld für die derzeit verfahrene Situation sieht Markus Töns bei der CSU. „Verantwortungsvoll regieren geht anders“, sagt er – und führt als Gegenbeispiel Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) an.
„Der kümmert sich um sein Politikfeld.“ In Sachen Sozialer Arbeitsmarkt sei alles in die Wege geleitet. „Der kann im Januar starten. Und das wird gut.“ Gerade in der Gelsenkirchener Verwaltung wird man das gerne hören.