Herten-Bertlich/Gelsenkirchen. . Die Nachricht von der ersten Zechenschließung war für Herbert Dwors eine echte „Klo-Parole“. 1966 traf ihn das Aus für Graf Bismarck besonders.
1959, da bekam Herbert-Karl Dwors einen ersten Eindruck davon, dass es in nicht zu ferner Zukunft zu Ende gehen könnte mit der Kohle. Oder: weniger mit der Kohle – die würde noch für weitere Abbaujahrzehnte reichen. Aber eben mit dem heimischen Bergbau. Damals gab es die ersten Zechen-Teilstilllegungen, Proteste, die ersten größeren Sorgen nach dem Krieg. Auf einer Kajak-Tour auf der Donau erfuhr er zufällig vom drohenden Unheil. Auf einem Plumsklo. „Da lag eine Bild-Zeitung als Klopapier“. Für Dwors wurde sie zunächst Lektüre. „Da hat man sich schon Gedanken gemacht“, sagt er.
Dwors war junger Bergmann, hatte nach drei Jahren Ausbildung die Knappenprüfung abgelegt. Aus Limburg an der Lahn kam er nach Gelsenkirchen, wollte Dreher werden. „Dort gab es ja keine Arbeit.“ Vom Ruhrgebiet kannte er eigentlich nur „Schalke“, den Kumpel-Club. Bei der Suche nach einer Lehrstelle hieß es: „Dreher haben wir genug, werd’ Bergmann.“
Nur Hauer wollte er nicht bleiben
Und so nahm das Berufsleben seinen Lauf. „Ich habe am 28. März 1954 angefangen“, sagt er. „625 Lehrlinge waren wir damals. Die Zahl werde ich nie vergessen.“ Nur Hauer wollte er nicht bleiben. Er besuchte die Aufbauklasse, später die Bergschule. Als Ingenieur kam er auf den Pütt. Bismarck wurde sein Revier. 1963 hat er dort als Steiger angefangen, als Absolvent der Klasse 47 a. Die Zahl ziert in Goldziffern neben Schlägel und Eisen und dem sogenannten „Steigerwinkel“ heute noch die Epauletten seines Bergkittels. Sie sind Rangzeichen und Statussymbole wie die „Steigerlatte“. Mit dem Fahrstock wurden die Stöße, die senkrecht stehenden Wände im Abbaufeld, geprüft.
Einige Exemplare stehen in seinem Arbeitszimmer – sie sind Teil einer gehörigen Bergbausammlung, die sich über Haus und Garten erstreckt, die den alten Stall, längst zur rustikalen Kumpel-Bar umgebaut, belegt. Bei Dwors dreht sich wirklich alles um Kohle und Kumpel. Vom bergmännischen Schwippbogen über dem Carport über zahllose Grubenlampen, Kauenkörbe bis zum, natürlich, bepflanzten Grubenwagen mit Schalke-Fahne. Auf ein Schienenreck hat er die Lore gestellt. „Auch der Schotter ist vom Pütt.“
Fünf Kinder hat das Paar
Die für Zechenhäuser großzügig geschnittene Haushälfte, die er und seine Frau Hilde, eine Bergmannstocher, an der Hertener Stadtgrenze als Mieter bewohnen, zeugt davon, dass der Hausherr in der Pütt-Hierarchie vom Kumpel bis zum Bergwerksdirektor einige Stufen der Erfolgsleiter genommen hat. Fünf Kinder hat das Paar. Doch keines hat seine Zukunft im Bergbau gesehen.
Aus dem üppigen Garten, dem sorgsam gehegten Reich seiner Frau, sieht man die grün verkleideten Anlagen des Bergwerks Lippe. Die Vergangenheit ist nicht fern. Auf Westerholt hat Herbert Dwors 1994 mit gut 55 Jahren sein Arbeitsleben beendet. Beinahe unter seinem Haus liegt das Grubenfeld Bergmannsglück-Westerholt-Polsum, eben sein altes Einsatzgebiet.
Es gab wütende Proteste gegen die Stilllegung
Umbrüche und Veränderungen haben Dwors begleitet. Besonders einschneidend? Das Aus auf Graf Bismarck 1966, damals die modernste Zeche Europas. Wütende Proteste gegen die Stilllegung hat es gegeben. „Aus Solidarität bin ich natürlich mitgegangen“, sagt Dwors. „Aber eigentlich wussten alle, dass das nix mehr gibt.“ Für Dwors war der Tag, an dem die Belegschaft von den Plänen erfuhr, doppelt bedeutsam. Morgens hatte er sich „stolz wie Oskar“ sein erstes Auto bestellt. „Einen Opel Kadett, als Coupe´ in Granadarot. Ein Kumpel meinte, den kannst du ja jetzt gleich wieder abbestellen.“ Dwors tat es nicht, auch weil er mobil sein wollte, wenn es für ihn beruflich vielleicht in einen Pütt am Niederrhein gehen sollte. „Das war ja für uns der Arsch der Welt.“ Es wurde Bergmannsglück in Hassel.
Die Belegschaften wurden verteilt. „Damals musste man damit rechnen, dass man jeden Tag neue Kollegen hatte. Das waren schon teilweise zusammengewürfelte Haufen.“ Dennoch: Ins Bergfreie fiel damals wie heute keiner. Das Gute, findet Dwors, sei ja auch immer die soziale Abfederung im Bergbau gewesen, die guten Verdienstmöglichkeiten, die Knappschaftsrente. „Das lohnt sich bis heute.“ Und dann hatte natürlich auch die Arbeit selbst für ihn hohen Reiz: „Man hatte mit Natur zu tun, aber eben auch viel mit Menschen. das war das Wichtigste. 300 bis 350 Leute“ arbeiteten zu seiner aktiven Zeit unter der Aufsicht eines Reviersteigers.
Im Treppenhaus hängen Urkunden
Dazu kam die Technik. „’54 habe ich noch mit dem Abbauhammer angefangen. Vom Bohrhammer bis zum Kohlehobel, vom Einzelstempel- bis zum Schildausbau – der Steiger hat alle diese Phasen erlebt.
Im Treppenhaus hängen Urkunden. Da würdigt ihn der Ring Deutscher Bergingenieure für 40 Berufsjahre, zu 60 Jahren in der Gewerkschaft gratuliert die IGBCE. „Der Aufnahmeantrag für die Gewerkschaft wurde gleich nach dem Lehrvertrag vorgelegt“, sagt Dwors. „Ich bin ganz stolz darauf, dass ich heute noch drin bin.“
Dwors wird demnächst 80 Jahre alt
80 Jahre alt wird Dwors demnächst – ein hellwacher, witziger, interessierter, drahtiger Mann, dem man sein Alter kaum ansieht. Auch wenn sein „Husten und Pusten“ ihn als dauernde Erinnerung an die Pütt-Laufbahn begleiten. Er muss täglich inhalieren, hängt zwischendurch am Sauerstoffgerät. Die Lunge. Aber ich will nicht klagen“, sagt er.
Bei Kuren versucht Dwors, die Gesundheit zu konservieren, die Erinnerungen pflegt er im Knappenverein „St. Barbara Bergmannsglück Westerholt 1993“. Ob im Luftkurort oder am Stammtisch. „Wenn Bergleute zusammen kommen“, sagt Herbert Dwors, „dann fangen sie in kürzester Zeit an, Kohle zu fördern.“