Gelsenkirchen-Scholven. . Wie tickt Scholven? Darüber informierte der Caritasverband bei einem Info-Abend über die Sinus-Milieu-Studie. Das Ergebnis: Scholven ist bunt.

Wie, bitteschön, tickt Scholven? Die Beantwortung dieser Frage bei einer Info-Veranstaltung des Quartiersprojekts im Stadtteil nahm nahezu den gesamten Montagabend in Anspruch – ohne dass sie sich am Ende in einen kurzen Satz pressen ließ. Denn: „Scholven ist bunt“, fasste Christina Fornefeld, Leiterin des Caritasverbands-Projekts, den Vortrag von Diözesanreferent Michael Winter zusammen, der rund zweieinhalb Stunden über die Ergebnisse der Sinus-Milieu-Studie referiert hatte. So komplex war das Thema, dass Erklärungsversuche, warum bei der Bundestagswahl 2017 so viele Bürger vor Ort ihr Kreuz bei der AfD gemacht hatten, verschoben werden mussten.

In der Tat liefern die Forschungsergebnisse des Heidelberger Sinus-Instituts zahlreiche Informationen zur Vielfalt der Gesellschaft: Es analysiert Befindlichkeiten und Orientierungen, Werte, Lebensziele, Lebensstile, Einstellungen von Menschen sowie ihre soziale Lage. Ziel ist es, deren Lebenswelten „von innen heraus“ zu verstehen. Dabei werden die Befragten in so genannten Sinus-Milieus zusammengefasst, sofern sich Lebensauffassung und Lebensweise ähneln, erläuterte Winter vom Essener Caritasverband.

Quartiersleiterin: „Kein Schubladen-Denken“

Mit großem Interesse verfolgten die Zuhörer das Referat von Diözesanreferent Michael Winter.
Mit großem Interesse verfolgten die Zuhörer das Referat von Diözesanreferent Michael Winter. © Heinrich Jung

Für Scholven mit seinen rund 10 000 Bewohnern heißt das konkret: 48 Prozent der Bevölkerung lassen sich dem Milieu der unteren Mitte/Unterschicht zuordnen, 33 Prozent dem Milieu der Mitte und 19 Prozent dem sozial gehobenen Milieu.

Als „Schubladen-Denken“ wollte Christina Fornefeld diese Daten zum Stadtteil freilich nicht verstanden wissen. „Es geht uns im Quartiersprojekt darum, individuell auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort einzugehen. Wenn wir wissen, wen wir vor uns haben, können wir passgenauer helfen“, erklärte sie etwa vor dem Hintergrund, dass die Ankunft vieler Flüchtlinge 2015 bei manchen Menschen Verunsicherung und Überforderung ausgelöst hätten, während andere darin eine Chance gesehen hätten. Auch kämen etwa Alleinerziehende aus dem gehobenen Milieu in der Regel besser mit ihrer Situation zurecht als solche aus der unteren Mitte.

Bülse ist bürgerlicher als Scholven

Weitere Unterteilungen der Milieus machen deutlich: Konservativ-Etablierte nehmen im gehobenen Milieu mit neun Prozent die größte (von insgesamt vier) Gruppen ein. Sie ist gekennzeichnet durch besondere Verantwortungs- und Erfolgsethik sowie Führungsansprüche. Die Bürgerliche Mitte stellt im Milieu der Mitte mit 20 Prozent die größte Gruppe (von insgesamt drei). Sie wird definiert als leistungs- und anpassungsbereiter bürgerlicher Mainstream.

In der unteren Mitte machen das traditionelle und hedonistische Milieu jeweils 20 Prozent aus. Während letzteres als eher spaß- und erlebnisorientiert gilt, im Beruf aber häufig angepasst sei, wird ersteres als Sicherheit und Ordnung liebende ältere Generation beschrieben, die in der kleinbürgerlichen Welt bzw. in der traditionellen Arbeiterkultur verhaftet sei und zunehmend ein Gefühl der Resignation und des Abgehängtseins entwickele. Zwölf Prozent werden dem prekären Milieu zugeordnet, deren Angehörige sich um Teilhabe – auch bei Konsumstandards – bemühten, häufig aber sozial benachteiligt seien.

Milieu und AfD-Stimmen: Zusammenhang noch unklar

„Insgesamt haben die Daten noch einmal bestätigt, dass Bülse stärker bürgerlich geprägt ist als Scholven. Insofern gilt nach wie vor, dass die Menschen der beiden Ortsteile näher zusammenrücken und sich mit ihrem Stadtteil identifizieren müssen“, betonte Fornefeld. Ziel sei es deshalb für das Quartiersprojekt, ortsteilübergreifende Aktionen anzustoßen. „Das ist sicher eine Herausforderung“, zumal die Zeit drängt: Finanziert ist das Projekt des Caritasverbandes, an dem auch das Bistum beteiligt ist, nur bis Ende des Jahres. „Aber wir hoffen, dass es danach irgendwie mit Hilfe von Ehrenamtlichen weitergeht.“

Den möglichen Zusammenhang zwischen Milieus und der Unterstützung der AfD will Projektleiterin Fornefeld bald mit anderen Akteuren im Stadtteil diskutieren und auswerten. Die Partei holte bei der Bundestagswahl 2017 mit 20,3 Prozent nach Erle-Süd (21,5 Prozent) ihr zweitbestes Ergebnis in Scholven.