Gelsenkirchen. . Die „Evangelischen Kliniken“ stellten am Mittwoch Behandlungen vor, von denen eine bis heute umstritten ist. Die andere wurde vorgeführt.
Depressionen sind für gewöhnlich kein Thema, das man für eine lockere Abendkonversation nutzt, über das man gar Lachen kann – bei aller Ernsthaftigkeit. Und doch ist eben dies der Fall beim „WAZ Medizinforum“ in den Evangelischen Kliniken.
Der Raum ist übervoll. Die meisten Besucher sind leiderprobt, wissen, wovon Privatdozent Dr. Marcus W. Agelink spricht, als er die Krankheit vorstellt. Die sei, so der Chefarzt der „Klinik für seelische Gesundheit und Präventivmedizin“, weit verbreitet. Ein Fünftel aller Deutschen erlebten eine Depression. Glaubt man der Statistik, sind Frauen stärker betroffen. „Ich denke aber, wir übersehen die Depression bei Männern eher.“ Das Tragische: Bis zu 20 Prozent der Betroffenen begehen Selbstmord. „Wir haben in Deutschland mehr Tote durch Suizid als Verkehrstote.“ Brisant auch, dass Gelsenkirchen die NRW-Statistik in Sachen Depression anführt.
Auch körperliche Symptome
Die Symptome der Erkrankung sind vielfältig. „Die Patienten sagen oft, der Tag liegt wie ein Berg vor mir. Abends wird es dann besser. Das ist die Rhythmik der Depression.“ Jedoch wirken sich Depressionen nicht nur auf die Psyche aus. Körperliche Beschwerden können Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Muskelschmerzen, Magenbeschwerden und Krämpfe sein. „Es gibt einen Zusammenhang zwischen Schmerz und Depression.“ So könnten natürlich Schmerzen Depressionen auslösen, aber auch umgekehrt. Und, die Information ist für viele neu, Depressionen erhöhen das Risiko für andere Erkrankungen wie Herzerkrankungen und Diabetes.
Die Nervenzellen anregen
Dr. Julia Bozena Pach, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Neurologie, erklärt zwei Therapieformen, die schaurig wirken und doch das Interesse aller wecken. Zunächst wird die „Elektrokonvulsionstherapie“ vorgestellt, die durch elektrische Impulse einen Krampf im Gehirn auslöst. „So regen wir die Nervenzellen an, sich zu synchronisieren. Das entspricht einem generalisierten Anfall. Das Gehirn bremst das aus und an dem Punkt werden Selbstheilungskräfte des Gehirns aktiviert. Als ob man einen Computer neu hochfährt.“
Therapie unter Narkose
Die Therapie wird bis zu zwölf Mal im Rahmen eines stationären Aufenthaltes angewendet – immer unter Narkose und überwacht. „Das ist der Klassiker“, wirbt die Ärztin für die recht alte und umstrittene Therapie, die sich über die Jahrzehnte entwickelt habe und dennoch ein beklemmendes Gefühl verursacht. Der Chefarzt versteht das. „Die Therapie wird in anderen Ländern viel öfter angewendet. Bei uns nicht, weil wir das Dritte Reich hatten. Hier haftet der Behandlung ein schlechtes Image an, weil sich die Psychologen damals nicht mit Ruhm bekleckert haben.“ Heute sei dies anders. Dennoch ist die Behandlung nur Schwerkranken vorbehalten. Recherchiert man zum Thema, stößt man auf Schilderungen von leichtem bis erheblichem Gedächtnisverlust durch die Behandlung, selbst wenn sie Betroffenen geholfen habe. Diese nahmen zuvor einen „Cocktail“ an Psychopharmaka ein – mit der selben Nebenwirkung. Dieser Aspekt jedoch wurde am Mittwoch nicht thematisiert.
Magnetstimulation live vor Ort
Die „Transkranielle Magnetstimulation“ komme öfter zum Einsatz. „Eine Magnetspule erzeugt ein Magnetfeld, das zur Induktion von Strom im Gehirn führt. Die Nervenzellen in der Hirnrinde können gehemmt oder aktiviert werden“, so Pach. Die Therapie erfordert keine Narkose und lässt sich hier vor Ort vorführen. „Freiwillige vor“, sagt Agelink und tatsächlich meldet sich eine junge Frau. Die erlebt am eigenen Leib, beziehungsweise Arm, die Wirkung. Ein elektrischer Impuls lässt diesen sich bewegen. Das soll nun auch ein Impuls am Kopf bewirken. Die Gäste sind gespannt wie im Theater. Die junge Ärztin probiert einige Einstellungen aus. Dann klappt es tatsächlich: Ein Impuls bewegt die Finger der Frau – wie von Zauberhand und unter Applaus.
Theraphie mit Medikamenten
Abgerundet wird der Abend nun durch einige Ausführungen zur medikamentösen Therapie. Die gehöre immer dazu. „Es gibt nicht die eine goldene Therapie“, erklärt Agelink. Die zu finden erfordere einen Facharzt. „Sie brauchen Vertrauen zu ihrem Arzt und der braucht das nötige medizinische und pharmakologische Wissen.“
Tipps der Mediziner
Angehörigen gab Dr. Agelink noch einige Empfehlungen mit auf den Weg. So sollten Betroffene mit einem Arzt sprechen. Wenn sie dort nicht hin wollen, solle man es mit einem Trick probieren, vorgeben, man habe selbst einen Termin.
Wichtig sei es, sich zu informieren, zudem Geduld zu haben. Gute Ratschläge solle man sich verkneifen, dafür Mut machen. Wichtig sei es, die Erkrankung ernst zu nehmen und dafür zu sorgen, dass keine wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Patienten, die nicht therapiert würden, seien eigentlich nicht geschäftsfähig.