Gelsenkirchen-Erle. . Auf der Cranger Straße feiern 60 000 Narren „Karneval vom anderen Stern“. Der OB hockt auf einer Rakete und die Kanzlerin im Rollstuhl.
Ob die jecken Wagenbauer der KG Narrenzunft Frank Baranowski ins All schießen wollen, ob der Oberbürgermeister – wie dargestellt – abgeht wie eine Rakete? Und ob Gelsenkirchen das Zentrum des närrischen Universums ist? Das bleibt an der Wegstrecke in Erle Interpretationssache. Auf jeden Fall sieht sich der OB ziemlich vielen Papp-Kameraden gegenüber. Hoch auf dem jecken Wagen trägt ein Teil der Besatzung Baranowski-Masken. Und das Original? Hat gut lachen. Helau Erle. Helau Gelsenkirchen. Helau Rosenmontagszug!
14.30 Uhr, an der Willy-Brandt-Allee geht es im langsamen Marschtempo los. Tausende säumen da bereits die Cranger Straße, bringen sich in Position, um zu schunkeln, zu gucken, zu feiern, zu warten, um reichlich Wurfgut abzugreifen. Das prasselt später im eher profanen jecken Epi-Zentrum zwischen Ehrentribüne an der Sparkasse und Spielhalle sowie Pizza-Pasta-Point vis-à-vis in Massen nieder.
Bälle, Fischli-Tüten, Drops, Blümchen, Kugelschreiber
Um 15.10 Uhr hat die Zug-Lokomotive an der Spitze der rund 800 Akteure den Standort erreicht. Klümpkes-Kleber macht sich wenig später unter Schuhen breit, eine zähe Angelegenheit. Für schnöde Bonbons bückt sich mancher gar nicht mehr. Es gibt Besseres abzugreifen: Bälle, Fischli-Tüten, Drops, Blümchen, Kugelschreiber. Und es gibt was zu sehen: Jede Garde, jeder Motivwagen, jede Kapelle legt hier eine Pause ein. Vorspiel ist angesagt. Die Garde der Bismarcker Funken tanzt zu Klaus Lage („1000mal berührt“), die Traditionsgarde der KG Piccolo lässt die Säbel glitzern und fährt die Stippeföttche aus, die Mädels des KC Astoria sind musikalisch eher avantgardistisch unterwegs, doch auch ihre Nummer zündet.
Polit-Botschaften streut AUF ein und schiebt die Kanzlerin im Rollstuhl (am Tropf) durch Erle. Jecke Stimmung und Zahnprophylaxe? Auch das passt bei Dagwin Lauer allemal zusammen. Er beißt sich durch einen langen GE-Rap und hat dabei ein Mammut-Gebiss mit Strahlezähnen an seiner Seite. Ole, ole, die Nummer hat der lokale Zahnärzteverein zum zweiten Mal auf die Piste gebracht. Und auch irgendwann geht’s hier weiter, macht Lauer das Feld frei für die Narrenzunft, gefolgt von der Jugendgruppe von St. Urbanus.
Stadtdechant und eine Horde holder Engel
„Betriebsausflug zum Chef“ steht auf der Wagenflanke, der Dom wird zur Rakete und Gottes Bodenpersonal zum lustigen Teufel mit roter Nase. Stadtdechant Markus Pottbäcker ist mit einer Horde holder Engel unterwegs. „Karneval vom anderen Stern, Gelsenkirchen feiert gern“ – das Sessionsmotto zündet hier. Gleiches gilt ein paar Wagen weiter bei Annette Schwenzfeier (sie hat Rosenmontag Geburtstag) und ihrem Gesangspartner Peter Nienhaus. Das Astoria-Duo intoniert das Mottolied, auf der Ehrentribüne und auf den Gehwegen zeigt sich so etwas wie Schunkelstimmung.
Schon fahren Lukas II. und Sirin I. vor: Das Kinderprinzenpaar ist mit der Kindergarde am Start. Ihren 146. Auftritt der Session, hat Moderator Hans-Georg Schweinsberg nachgezählt, legt ein paar Takte später die Prinzengarde der Stadt hin. Prinz Julian I. und Elisabeth I. machen länger Streckenpause. Der Zug will ja ausgekostet werden.
Prinz bringt beidarmig Pralinen-Packungen unters Volk
Es hagelt Wurfgut vor der Tribüne, der Prinz bringt beidarmig Pralinen-Packungen unters Volk und greift schließlich zum Mikro. „Glückauf“, sein Steigerlied hallt dutzendfach wider. Da sind die Gelsenkirchener textsicher. „Viel Spaß noch“, wünscht der Prinz und fährt samt Anhang ein Stückchen weiter. Bis hoch zur Nordstraße warten noch ungezählte Narren auf eine kurze Audienz.
Ein Stück weiter wartet bereits eine muntere, achtköpfige Panzerknacker-Bande. Marietta, 28, Stephan, 34, und Daniel, 22, sind mit Bier und Bratwurst beschäftigt. Knacki-Nummern zieren ihre Kostümvorderseite – allesamt sind sie unterschiedlich. „Die konnte man personalisiert bestellen“, sagt Daniel.
Als „Almabtrieb“ mit Hunden unterwegs
Seit Jahren sind die Bueraner gemeinsam in einer größeren Gruppe unterwegs. „Der Zug ist immer schön zu sehen“, findet Stephan. „Im letzten Jahr war er etwas kurz. Aber das ist okay.“ Nach dem Zug ist vor der Party. „Wir gehen noch gemeinsam feiern. Privat“, sagt Marietta. Hexen und Piraten, Clowns und Hippies, jede Menge Einhörner, einige Gangster, Katzen und verstreute Mexikaner säumen neben den Panzerknackern die Straße. Doch die meisten Zoch-Gucker kommen ohne großes Kostüm aus. Da sind Mona und ihre muntere Meute von anderem Kaliber. „Ich bin ein Almabtrieb“, sagt die muntere Gelsenkirchenerin, die im Kuhkostüm mit Partner Karsten und sechs närrisch ausstaffierten Hunden (darunter ein Clown und eine Riesenspinne) dem Zug voranzieht. „Wie Menderes beim Superstar sind wir jedes Jahr dabei“, sagt Mona. Zeit für ein paar Bilder und Selfies mit Hündchen bleibt noch. Dann wandert der Almabtrieb weiter. „Wir werden erwartet.“
>> Der Zug in Zahlen
18 Motivwagen, vier Spielmannszüge, zwölf Fußgruppen und zwölf Tanzgarden schickten die Jecken in Erle auf die Piste.
152 Ordner waren im Zug dabei, 56 Ordner wurden an den Absperrungen postiert. Insgesamt wurden zur Sicherheit des Zugwegs 15 mobile Absperrungen aufgestellt.
11,5 Tonnen Bonbons hatte das Festkomitee für den Zug geordert – dazu noch jede Menge Wurfmaterial vom Bällchen bis zum Popcorn-Beutel.
111 Polizeibeamte sollen im Einsatz gewesen sein. Eine jecke Zahl – nachgezählt hat sie wohl keiner. Gleiches gilt für die Zugbesucher. Bis zu 80 000 gaben die Narren selbst an, mit 60 000 rechnete die Gelsenkirchener Polizei.
4 große und vier Kleinkehrmaschinen schickte Gelsendienste zum großen Aufräumen nach dem Zug, dazu natürlich eine größere Besen-Truppe. Insgesamt waren gut 30 Mitarbeiter als Putzkolonne im Einsatz.
1 Krankentransport und eine Erste-Hilfe-Leistung war die Bilanz, die Michael Waterwiese vom DRK, Rosenmontag als Abschnittsleiter des Sanitätsdienstes im Einsatz, gegen 16 Uhr zog. Die strategische Einsatzleitung hatte sich neben der Gesamtschule Erle postiert.