Ückendorf/Marl. . Hacer Savas ist blind. Bei Amevida arbeitet sie seit zweieinhalb Jahren im Geschäftskundenservice. Sie schätzt die Tätigkeit mit Menschen.
Im Mai wird Hacer Savas mit ihrer Cousine nach Portugal reisen. „Trotz Flugangst“, sagt sie. „Ich reise sehr gerne.“ Lesen, Freunde treffen, Fußball gucken, reiten. All’ das mag die 31-Jährige. Alltägliche Dinge – in einem nicht alltäglichen Leben. Die Marlerin ist von Geburt an blind.
„Was wir Blinde zu hören bekommen, ist manchmal unglaublich“, erzählt sie. „Letztens hat mich einer bewundert, weil ich eine Treppe runtergegangen bin. Kein Problem“, habe sie dann geantwortet. „ich habe ja gesunde Beine.“ Die 31-Jährige ist schlagfertig, sie geht mit ihrer Schwerbehinderung ganz selbstverständlich um.
Seit Kindertagen ist sie leidenschaftliche Reiterin
Die Höhere Handelsschule hat die junge Frau abgeschlossen, versuchte sich dann mit einer Freundin an einem Reiterhof-Projekt. Seit Kindertagen ist sie leidenschaftliche Reiterin. „Ich bin auch schon als Blinde allein ausgeritten“, sagt sie. Das ginge durchaus. „Aber nie ohne Handy.“ Doch dann scheiterte der Versuch, in der Therapiepferde-Branche Fuß zu fassen. Ihr war klar: Ein ganz normaler Beruf musste und sollte her. „Gerne etwas mit Menschen und in einem festen Team. Ich habe viele Absagen bekommen. Viele Arbeitgeber wissen oft nicht, wie es bei der Anstellung von Behinderten läuft und welche Hilfen es gibt.“
Bei Amevida gab es offenbar keine Vorbehalte, passte die Chemie. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet Savas nun schon am Standort in Ückendorf, berät an der Leithestraße Mobilfunk-Firmenkunden und optimiert deren Verträge. Fünf Tage die Woche acht Stunden lang – hochkonzentriert, gedankenschnell und mit Technik-Hilfe.
Firmensitz im Industriepark an der Berliner Brücke
Amevida – mit Firmensitz im Industriepark an der Berliner Brücke in Schalke – ist einer der großen sogenannten Customer-Care-Dienstleister der Republik, beschäftigt an sieben Standorten 2260 Mitarbeiter, darunter zurzeit 120 mit einer Behinderung – Rollstuhlfahrer sind darunter, auch Menschen mit Amputationen und eben die blinde 31-Jährige. Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen müssen wenigstens fünf Prozent dieser Stellen mit schwerbehinderten Menschen besetzen, so will es der Gesetzgeber. Ansonsten ist eine Ausgleichsabgabe fällig. „Viele Arbeitgeber kaufen sich aber regelrecht frei“, ärgert sich Hacer Savas.
In Marl bleibt die 31-Jährige wohnen. Dort hat sie ihre familiären Bezüge, dort kennt sie sich aus. Mit dem Taxi kommt sie zur Arbeit. Nicht, weil sie Bus und Bahn scheut und sich die Fahrt nicht zutraut. „Aber mit dem öffentlichen Nahverkehr wäre ich pro Strecke anderthalb Stunden unterwegs.“
Berufseinstieg mit einer Mobilitätsbetreuerin
Sich im damals neuen Berufsumfeld zurecht zu finden, hat einige Zeit gedauert. Eine Mobilitätsbetreuerin stand ihr anfangs zur Seite. „Wir sind die Wege abgegangen“, sagt Hacer Savas. Längst hat sie ein Gespür dafür, wie sie sich in den Büros zu orientieren hat, lässt am Arbeitsplatz meist ihren Blindenstock ungenutzt. „Selbst wenn ich mal ‘was umrenne, die Kollegen haben dafür Verständnis“, lacht sie.
Bei der Arbeit helfen ihr technische Hilfsmittel: Eine besondere Braillezeile zur Computertastatur, eine Sprachsoftware, auch das Smartphone hat ein Sprachprogramm . „Wir brauchen etliche ausgefallene Hilfsmittel – je nach Behinderung“, erklärt Marco Scheibe, der Schwerbehindertenvertreter an den Standorten in Gelsenkirchen und Bochum. „Bei Frau Savas zum Beispiel muss die Schrift auf dem Bildschirm in Sprache umgewandelt werden, eine Computerstimme liest ihr dann alles vor.“ Das Ganze laufe unglaublich rasant und mit großer Präzision ab.
Schulungen und Fortbildungen stehen auf der Agenda
Ihre Berufsperspektive? Auf Dauer eine anspruchsvollere Tätigkeit im Unternehmen strebt die Marlerin an. Entsprechende Schulungen und Fortbildungen stehen bereits auf ihrer Agenda. Und persönliche Ziele? „Weitere Reisen“ auf jeden Fall. „Dann möchte ich gerne mal zu einem Fußballspiel ins Stadion. Aber das habe ich noch nicht geschafft.“ Klar, Schalke ist erst mal naheliegend. „Mein Traum wäre aber Real Madrid.“