Schalke. . Ohne finanziellen Zuschuss wäre Gelsenkirchen 2018 um eine Kultur-Attraktion ärmer. Leiter Paul Pillath: „Wir brauchen Planungssicherheit.“

  • Seit fast sechs Jahren existiert das „Wohnzimmer GE“ an der Wilhelminenstraße im Stadtteil Schalke
  • Wenn es in naher Zukunft keine finanzielle Unterstützung gibt, wäre die Location bald Geschichte
  • Das „Wohnzimmer“ möchte 75 000 Euro aus dem städtischen Haushalt haben

Wenn man diesen Raum betritt, fühlt man sich gleich ein bisschen heimelig: ein Sofa hier, Sessel dort, daneben ein Couchtisch – klein, aber fein und im besten Sinne gemütlich. Der Name ist Programm im „Wohnzimmer GE“ an der Wilhelminenstraße. In über fünf Jahren hat sich der Szene-Raum neben der bei Kulturinteressierten ebenfalls bekannten Kaue zu einem angesagten Ort für Musik und Kunst aus aller Welt etabliert. Ein Ort für knapp 100 Zuschauer, die hier unmittelbar vor der Bühne mit den Künstlern noch auf Tuchfühlung gehen können – das beschauliche Gegenteil der großen Hallen und Arenen. Doch wenn’s schlecht läuft, könnte damit bald Schluss sein. Das „Wohnzimmer“ benötigt Geld.

Ein Halbtagsjob für das Hobby

„Wir brauchen für die Zukunft Planungssicherheit“, sagt Paul Pillath. Der 31-Jährige ist Vorsitzender des Vereins, der das „Wohnzimmer GE“ betreibt. „Das ist wie bei den Künstlern. Applaus ist gut, reicht aber am Ende nicht.“ Mit viel Arbeit und persönlichem Engagement hat bis jetzt alles immer irgendwie geklappt. Etwa 20 Stunden pro Woche investiere er ins Wohnzimmer – ein Halbtagsjob. Wobei das sein Hobby ist. „Nebenbei“ hat Pillath auch einen Vollzeitjob in einer Talentschule.

© Martin Möller

Seinen Mitstreitern – allen voran Schwester Lisa Pillath und Mirko Lemme – geht es nicht anders. Das ganze Team, mehr als ein Dutzend Freiwillige, habe binnen eines Jahres etwa 5000 Stunden ins „Wohnzimmer“ gesteckt. „2016 haben wir dann gemerkt, dass das so nicht mehr weitergeht“, so Paul Pillath. „Es gab Phasen, da wussten wir nicht, ob das nächsten Monat noch funktioniert.“

Wenn alles gut läuft, könnte dringend benötigtes Geld bald fließen. Es geht um 75 000 Euro. „Das ist unser ausgerechnetes Defizit“, sagt Mirko Lemme. Kommen soll das Geld von der Stadt. Paul Pillath sitzt für die Grünen im Kulturausschuss. Die Partei hat dort einen Antrag gestellt, das „Wohnzimmer“ mit besagten 75 000 Euro zu unterstützen – aus dem Kultur-Etat der Stadt. Das letzte Wort hat der Rat. In seiner nächsten Sitzung am 14. Dezember soll der Haushalt 2018 abgesegnet werden. Die Politiker entscheiden damit auch über die Zukunft des „Wohnzimmers“.

Wenn’s schief geht? „Dann müssen wir das Ende des ,Wohnzimmers’ verkünden“, sagt Paul Pillath. Und man merkt seiner Stimmlage an, wie sehr das schmerzen würde. Die Sorge vor diesem Moment ist auch Lisa Pillath und Mirko Lemme anzusehen.

Eine Location, die Berlin gerne hätte

Es wäre der Abschied von einer nahezu einzigartigen Kultureinrichtung. Die drei erzählen von einer Band aus der Hauptstadt, die mal hier gespielt hat. „So eine Location hätten wir in Berlin auch gerne“, soll ein Band-Mitglied gesagt haben. Wer hätte das gedacht: Gelsenkirchen – so cool, dass sogar Berlin neidisch wird. . . Dass der Raum cool ist, schätzen auch die Künstler, die hier schon aufgetreten sind.

In einem kurzen Image-Film sind viele von ihnen zu sehen. Ihre Botschaften: „Ich habe selten so ein tolles Konzert erlebt“ (Musiker Alex Amsterdam aus Düsseldorf), „Im ,Wohnzimmer’ hat immer alles gepasst“ (Songwriter Tommy Finke aus Bochum), „Ich habe über 100 Konzerte gegeben – das war ein Highlight“ (Marceese aus Berlin) und „Wir kommen wieder“ (die Band Sinful Saints aus Zürich). Ja, auch aus der Schweiz reisen die Musiker an, um in Gelsenkirchen zu spielen. Sogar vom anderen Ende der Welt kam schon eine Band: The Herbs aus Australien.

Zu den Highlights ganz anderer Sorte zählt die Open Stage, die offene Bühne, auf die an jedem ersten Donnerstag im Monat jeder steigen kann, der mit anderen und für andere musizieren will. Hier habe es, so erzählt Lisa Pillath, schon herzzerreißende Darbietungen gegeben.

Das Motto im „Wohnzimmer“: „Refugees welcome“, denn auch viele Flüchtlinge kommen zu diesen Terminen regelmäßig. Fußball geguckt wird im „Wohnzimmer GE“ auch – nahezu alle Schalke-Spiele auf der großen Leinwand. Und Kunst gibt’s obendrein: zu begucken und zu kaufen.

In ein paar Wochen weiß das Team, ob das alles 2018 auch so bleiben wird. . .