Gelsenkirchen. . Kirchenkreis-Sprecherin Katharina Blätgen über Gründe für den Mitgliederschwund und die Notwendigkeit, kirchliche Arbeit neu zu definieren.

  • Am 500. Jahrestag der Reformation hat der Ev. Kirchenkreis GE-Wattenscheid noch 86 511 Mitglieder
  • „Die größten Verluste gehen auf demografische Faktoren zurück,“ sagt die Kirchenkreis-Sprecherin
  • Katharina Blätgen meint: „Wir müssen uns als Kirche das Kleid enger machen und uns neu definieren“

Martin Luther war ganz schön gewitzt. Weil Allerheiligen alle in die Kirche gehen würden, hat er seine 95 Thesen am Vorabend an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen. Und alle Kirchgänger sahen seine Gedanken zu Ablass und Buße. Man schrieb den 31. Oktober 1517...

„Wir müssen uns neu definieren“

500 Jahre später wäre es wohl an der Zeit für die nächste Reformation. Streng genommen sind beide christlichen Kirchen auf dem Weg in eine Minderheitensituation. Sagt Katharina Blätgen, Pfarrerin und Sprecherin des evangelischen Kirchenkreises Gelsenkirchen-Wattenscheid. Die Konsequenz: „Wir müssen uns neu definieren. Die Selbstverständlichkeiten sind nicht mehr gegeben.“ Selbstverständlichkeiten wie Taufe, kirchliche Trauung und lebenslange Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche. Katharina Blätgen sagt nachdenklich: „Wir müssen uns als Kirche das Kleid enger machen.“ Etwa bei den Räumen. „Wir haben zu viele Kirchen“, sagt sie.

Man könne sie verkaufen oder abreißen, wie etwa die Johanneskirche in der Resser Mark, heute Johanneshof. Oder umbauen wie die Markuskirche, in der nun Wohnungen sind. Oder gewerblich nutzen wie die Paul-Gerhard-Kirche, Sitz eines Bestatters.

Ende 2016 gab es noch 86 511 Mitglieder

Katahrina Blätgen, Pfarrerin und Sprecherin des Evangelischen Kirchenkreises Gelsenkirchen-Wattenscheid.
Katahrina Blätgen, Pfarrerin und Sprecherin des Evangelischen Kirchenkreises Gelsenkirchen-Wattenscheid. © Olaf Ziegler

Dabei war der Kirchenkreis GE- Wattenscheid einmal der drittgrößte in Westfalen. Heute ist er von einst 22 auf neun Gemeinden (mit mehreren Standorten) geschrumpft. Die Mitgliederzahl reduzierte sich von 105 412 Ende 2007 um 10 780 bis Ende 2012 und damit um 10,2 Prozent auf 94 632. Was aber nicht heißt, dass den Protestanten die Schäfchen davon gelaufen sind. 4562 Mitglieder (42,3 Prozent) sind im Verlauf der fünf Jahre gestorben; 4852 (45 Prozent) sind aus Gelsenkirchen weggezogen und 1366 evangelische Christen (12,7 Prozent) sind zwischen 2007 und 2012 ausgetreten. Ende 2016 betrug die Mitgliederzahl 86 511.

Die wichtige Erkenntnis aus diesem Schrumpfungsprozess sind nach Blätgens Worten klar: „Die größten Verluste gehen auf demografische Faktoren zurück.“ Und das wird wohl vorerst so bleiben, denn heute sind die älteren Gemeindemitglieder gegenüber dem Nachwuchs in der deutlichen Mehrheit. Und: Viele der neu Zugezogenen sind keine Angehörigen der christlichen Glaubenskultur.

Protestantisches Selbstverständnis

Schwinden christlichen Werte? „Nein“, betont die Pfarrerin. „Es ist auch keine Glaubenskrise der Menschen. Luther selbst hat ja die Säkularisierung der Menschen erst ermöglicht. Und in der Freiheit, die Luther uns gegeben hat, ist auch die, zu sagen: ,Ich glaube nicht an Gott’.“ Gleichwohl lächelt sie und fragt: „Was haben wir, was hat die Welt dieser Reformation zu verdanken?“ Und gibt selbst die Antwort: „Eine ganze Menge.“ Zum Beispiel protestantisches Selbstverständnis. Ganz zu schweigen von der deutschen Schreibsprache. Reden konnten die Menschen zwar, Luther aber wollte, dass sie die Bibel auch lesen können.

Einsatz der Kirche trägt Früchte

Trotz schrumpfender Mitgliederzahlen ist Katharina Blätgen optimistisch. Die Kirche komme zu den Menschen – in Kindergärten und Schulen etwa gebe es immer mehr zusätzliche Angebote. „Und unsere Gemeinden leben den Alltag der Menschen mit. „Wir laden die Menschen ein, zur Taufe oder zur Konfirmation zu kommen.“ Einsatz, der nach ihren Worten Früchte trägt. Und im Lutherjahr habe es viele Veranstaltungen mit großem Zuspruch gegeben.

>>> Info: Protestanten feiern ihren Reformator

Mit Festgottesdiensten in Christus- und Trinitatis-Gemeinde Buer, der Lukasgemeinde in Hassel, in Beckhausen, Apostel-Gemeinde in Bulmke, Emmaus-Gemeinde in der Altstadt sowie in Heßler feiern evangelische Christen heute 500 Jahre Reformation.

Die Gemeinde in Horst ist auf Spurensuche auf dem ökumenischen Stationenweg und die Altstadtkirche bringt dem Reformator ein Ständchen.