Feldmark. . Psychologe Martin van Wesel kümmert sich seit 22 Jahren um das Seelenleben der Inhaftierten in der JVA Gelsenkirchen.
- Vier Psychologen kümmern sich um rund 630 inhaftierte Frauen und Männer in der JVA Gelsenkirchen
- Der 52-jährige Martin van Wesel kümmert sich bereits seit 22 Jahren um das Seelenleben Gefangener
- Obwohl die Arbeit oft sehr belastend ist, hat er seine Berufswahl nie bereut: „Ich bin gerne hier geblieben“
Die „Neugier auf Lebensgeschichten“ war es, die Martin van Wesel (52) vor 22 Jahren dazu brachte, sich um das Seelenleben von Gefangenen zu kümmern. Bereut hat er die Entscheidung nie, obwohl er es mit Menschen zu tun hat, die wegen schwerer Gewalttaten einsitzen und die Arbeit oft belastend ist. „Ich bin gerne hier geblieben“, sagt er.
„Viele sind Meister im Verdrängen“
Zentrale Frage: Wie kann man mit einer solchen Schuld leben? Die Antwort fällt dem Psychologen schwer, weil der Umgang der Gefangenen mit ihrer Tat so unterschiedlich ist. „Viele sind Meister im Verdrängen. Man hat das ja alles gar nicht so gewollt, man wälzt die Schuld auf andere ab.“ Dann waren es entweder Alkohol oder Drogen, die Situation oder die Partnerin. „Es ist eine Art Schutzmechanismus, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass man selbst die Verantwortung trägt.“
Vollzugsplanung für jeden Gefangenen
Auch wenn die Gewalttäter merkten, dass sie etwas getan haben, was später große soziale Kritik auslöst, machten viele erst einmal dicht. „Eine funktionierende Arbeitsbeziehung zwischen Gefangenem und dem Psychologen muss hergestellt werden, damit man Zugang zu den Tätern bekommt.“ Professionell wird für jeden Gefangenen eine Vollzugsplanung erstellt: „Was erwarten wir von dem Gefangenen, was für eine Tat hat er begangen, wie ist er aufgewachsen, welche Persönlichkeit hat er, wie können wir ihn fördern und wie fordern?“
„So eine Tat fällt ja nicht vom Himmel“
„Denn so eine Tat fällt ja nicht vom Himmel“, sagt van Wesel. Immer wieder sind es ähnliche Strukturen und Abläufe, die einen Menschen in der Kindheit und Pubertät prägen und schließlich dazu führen, dass sie das Leben nicht mehr im Griff haben. „Wenn ein Kind in einem Elternhaus aufwächst, wo übermäßig Alkohol konsumiert wird, Drogen genommen werden, Gewalt herrscht, wenn ein Kind zu wenig Schutz oder Liebe erfährt, wenn es oft wechselnde Bezugspersonen hat, dann läuft in der ohnehin schwierigen Pubertätsphase häufig vieles aus dem Ruder“, erklärt Martin van Wesel.
Manches geht nicht spurlos an ihm vorbei
Wo Eltern keinen Einfluss haben, zählt der Freundeskreis. Da wolle man sich beweisen, cool sein, Alkohol trinken, Drogen nehmen, erste kleine Delikte begehen. „Gefährdete Jugendliche sind in allem härter, risikofreudiger, gefährlicher. Sie haben wenig Stabilität und das hat oft fatale Auswirkungen.“
Gewalttäter hätten oft Ressourcen, aber sie nutzten sie nicht. Sie kennen ihre eigenen Stärken nicht, sind weniger geduldig, halten Rückschläge nicht gut aus, finden keine Zufriedenheit. „Manchmal, wenn man die Akten liest“, sagt der Psychologe, „schluckt man schon. Es sind oft grauenvolle Taten, mit denen man sich ab und zu auch noch zu Hause auseinander setzt. Das geht auch nach Jahren nicht spurlos an einem vorbei.“
Begegnung mit Respekt
Aber, wenn der Täter vor einem sitze, habe man es ja mit einem Menschen zu tun. Und dem begegne man mit Respekt. Ziel sei es immer, im Vollzug voran zu kommen, dass der Gefangene die Verantwortung für seine Tat übernehme. „Das fällt vielen sehr schwer, da wollen wir Verhaltensänderungen bewirken.“ Oft hätten Gewalttäter, die andere überfallen, weder Planung für ihr Leben, noch Geduld. „Sie wollen Geld, und das holen sie sich sofort.“
An diesen Mechanismen müsse man mit den Gefangenen arbeiten. „Wir und auch die meisten Gewalttäter wollen ja, dass sich Straftaten nicht wiederholen“, sagt Martin van Wesel. Erschreckend sei immer wieder, wie risikobereit Jugendtäter seien, auch wenn die Tat viele Jahre Gefängnis zur Folge habe.
„Wir erstellen eine gründliche Analyse“
Eins stellt Psychologe van Wesel klar: „Wir machen es uns bei der Prognose der Gefangenen nicht leicht. Wir erstellen eine gründliche Analyse, um die Perspektive eines Straftäters zu beurteilen. Wir haben Verantwortung und nehmen sie auch wahr.“