Gelsenkirchen. . Bei der Bundestagswahl dürfen Menschen, die unter voller Betreuung stehen,ihre Stimme nicht abgeben. Das ärgert vor allem die Sozialverbände.
- Viel Ärger gibt es zurzeit bei den Behinderten- und Sozialverbänden im Vorfeld der Bundestagswahl
- Eine UN-Konvention besagt ganz klar, dass Menschen mit Behinderungen gestärkt werden müssen
- Das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat die UN-Forderung allerdings längst umgesetzt
Viel Ärger gibt es zurzeit bei den Behinderten- und Sozialverbänden im Vorfeld der Bundestagswahl. Komplett ausgeschlossen vom Wahlrecht sind Menschen, die unter Vollbetreuung stehen. Sie dürfen nicht zur Wahl. Anders als bei der NRW-Landtagswahl im Mai. Denn das Landesrecht erlaubt es auch diesen Menschen, ihre Stimme abzugeben. Das Bundesrecht dagegen schließt sie aus.
Alle Bundesparteien wollten das Gesetz ändern
Stefan Kuster, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Sozialwerk St. Georg: „Das Gesetz ist immer noch nicht geändert worden, obwohl sich im Vorfeld der Bundestagswahl alle Parteien dafür ausgesprochen haben. Denn es gibt die UN-Konvention, die festlegt, dass Menschen mit Behinderungen gestärkt werden müssen. Im Landesrecht ist das geschehen, auf Bundesebene immer noch nicht.“
Auch Philipp Peters von der Lebenshilfe sieht darin einen großen Fehler und auch einen Verstoß gegen das Menschenrecht. „Ein Mensch mit einer geistigen Behinderung hat genauso das Recht zur Wahlurne zu gehen, wie wir auch“, ist Peters überzeugt. „Es geht in Sachen Inklusion ja auch immerhin in ganz wesentlichen Teilen darum, wie die Lebenswege dieser Menschen bestimmt werden.“
Sozialwerk St. Georg stellt Bewohnern ein Wahltaxi
Auch das Wahlrecht von Menschen mit einer schweren Demenz würde nicht eingeschränkt – sogar Wachkoma-Patienten seien, wenn eine Vollmacht vorliege, wahlberechtigt. „Wenn wir schon von Inklusion und Gleichberechtigung sprechen“, so Peters, „dann müssen auch eben diese Bürger, über die wir ständig sprechen, mitentscheiden.“
Auch WAZ-Leser Manfred Wilczek ist verärgert. Seine Frau Helga ist schon lange an Krebs erkrankt. Mittlerweile sind die Metastasen schon in den Knochen. Die 78-Jährige ist auf den Rollstuhl angewiesen, kann nicht mehr aus dem Haus gehen. Daher hat ihr Ehemann auch schon im Mai bei der Landtagswahl für seine Frau die Wahlunterlagen organisiert und beim Wahlamt auf der Horster Straße wieder abgegeben. „Das war gar kein Problem.“
Die Stadt muss sich nach den Gesetzen richten
Daher ist er davon ausgegangen, dass das bei der Bundestagswahl genauso funktionieren sollte. „Sollte es auch, bestätigt Stadtsprecher Martin Schulmann. „Das Problem war, dass Frau Wilczek nicht auf dem Wahlzettel unterschrieben hat.“ „Konnte sie auch nicht“, sagt der Ehemann, „weil sie nicht mehr unterschreiben kann.“ Denn durch die Chemo hat sie massive motorische Störungen. Ihre Unterschrift sei aber rechtlich gefordert, betont der Pressesprecher. Die Stadt würde ja die Gesetze nicht machen, sondern sich nach ihnen richten.
Stefan Kuster weist darauf hin, dass das Sozialwerk St. Georg für alle Bewohner zur Bundestagswahl ein sogenanntes Wahltaxi bereitstellt. Die Assistenten in den Heimen und Wohngruppen helfen auch bei gewünschter Briefwahl.