Gelsenkirchen/Winterswijk. . Drama auf Campingplatz: Ein mangelernährter Junge sucht Essensreste, Eltern flüchten vor der Polizei. Die Familie lebte auch in Gelsenkirchen.

  • Camper entdeckt verwahrlostes Kind auf Platz Twee Bruggen und ruft die Polizei
  • Eltern ergreifen die Flucht - Polizei kann sie aber wenig später festnehmen
  • Gegen die Mutter liegt in Deutschland ein Haftbefehl vor

Es ist eine erschütternde Geschichte, die sich vor zwei Wochen auf einem Campingplatz im niederländischen Winterswijk zugetragen hat. Im Mittelpunkt: ein Junge, acht Jahre alt, verwahrlost, stark abgemagert. Er war einem Camper aufgefallen, als er unter ein Vorzelt kroch und sich über dort vorgefundenes Essen hermachte. Die verständigte Polizei wollte die Eltern zur Rede stellen – da ergriffen beide die Flucht. Die Polizisten konnten sie aber wenig später fassen. Wie jetzt bekannt wurde, zieht die Geschichte ihre Kreise bis nach Gelsenkirchen.

Hier ist der Wohnwagen zugelassen, in dem die Familie auf dem Platz Twee Bruggen campte. Die Familie – das sind neben Mutter, Vater und dem achtjährigen Sohn auch noch zwei Mädchen im Alter von sechs und anderthalb Jahren. Und diese Familie hat – seinerzeit noch zu viert – auch mal in Gelsenkirchen gelebt. „Im Februar 2016 haben sie ihre Wohnung hier aber verlassen“, sagt Stadtsprecher Martin Schulmann. „Von diesem Tag an hatten wir keine Ahnung mehr, wo sie sich aufhalten.“

Familie wurde vom Jugendamt betreut

Dabei wäre der Aufenthaltsort gerade für das Jugendamt von Interesse gewesen. Unter dessen Betreuung stand die Familie schon, als sie vor Jahren noch in Haltern wohnte. „Die Stadt Haltern hat uns den Fall übergeben“, so Schulmann. „Dort waren sie auffällig geworden.“ Wobei die Eltern aus dieser Auffälligkeit offenbar schnell lernten. In Jugendamtskreisen galten sie schnell als „Meister im Tarnen“. Sie wussten angeblich, wie sie sich bei Besuchen des Jugendamtes zu verhalten, was sie zu sagen haben. Insofern wundert es nicht, dass sie, so Schulmann, „bei uns in der Betreuung relativ unauffällig“ waren.

Martin Schulmann, Pressesprecher der Stadt Gelsenkirchen.
Martin Schulmann, Pressesprecher der Stadt Gelsenkirchen. © Martin Möller

Wohin es die Familie von Gelsenkirchen aus verschlug, lässt sich nicht nachverfolgen. Einzig sicher ist, dass die Mutter am 24. März 2016 im Krankenhaus von Bocholt ihr drittes Kind zur Welt brachte. Danach verliert sich die Spur endgültig. „Am 7. März 2017 wurde die Familie hier ganz offiziell abgemeldet“, erklärt der Stadtsprecher. „Das ist nach einem Jahr ein ganz normaler Vorgang.“ Wann die nun fünfköpfige Familie auf dem Campingplatz Twee Bruggen in Winterswijk ihre Zelte aufschlug, lässt sich auf den Tag genau nicht sagen. Nach Aussagen von Zeugen hätten sie zum Zeitpunkt des Vorfalls seit etwa sechs Wochen dort gelebt.

Drama beginnt mitten in der Nacht

Es ist Samstag, der 22. Juli. Gegen 3.30 Uhr erwischt ein Camper ein stark unterernährtes Kind dabei, wie es sich auf die Essensreste auf dem Tisch im Vorzelt stürzt. Er stellt den Jungen zur Rede, seinen Namen will er nicht sagen. „Wollt ihr nicht meine Eltern sein?“, soll der verängstigt wirkende Junge gefragt haben. Der Camper informiert die Polizei.

Gegen 4 Uhr sprechen die Polizisten mit dem Jungen. Offenbar hat er große Angst vor seinen Eltern. Woher er kommt, will er nicht verraten, aber seinen Nachnamen, den nennt er. Die Polizisten gleichen seinen Namen mit dem Namen des Halters des Wohnwagens mit GE-Kennzeichen ab: Übereinstimmung. Wie die WAZ erfuhr, ist der Wohnwagen auf die Großeltern, auf die Eltern der Mutter, zugelassen.

Flucht in den Waschraum

Es ist mittlerweile 5.30 Uhr, als die Beamten die Eltern aus dem Schlaf holen. Die Mutter ergreift sofort die Flucht, eilt quer über den Campingplatz, kann aber in einem etwa 100 Meter entfernten Waschraum gestellt werden. Auch der Fluchtversuch des Vaters wird von der Polizei vereitelt. Sofort machen auf dem Platz, auf dem mittlerweile kaum noch jemand schläft, Gerüchte die Runde: Die Eltern sollen ihr Baby angeschrien haben, sie sollen früher auch ein Kind im Keller an die Heizung gekettet haben, und die Mutter sei vorbestraft, werde per Haftbefehl gesucht.

Zumindest das letzte Gerücht bestätigte Freitag die zuständige Staatsanwaltschaft Oost-Nederland gegenüber der Redaktion. „Die Frau muss in Deutschland noch eine Gefängnisstrafe absitzen“, so Pressesprecherin Barbara van Heerde. Die Eltern säßen nun in Untersuchungshaft. Man werfe ihnen Misshandlung vor – ob nur gegen den Jungen oder auch gegen die beiden Mädchen, werde derzeit untersucht. Die Kinder sind mittlerweile nach einem richterlichen Beschluss an einem sicheren Ort. Nähere Angaben wollte van Heerde nicht machen.