Gelsenkirchen. . Der Druck wird größer, die Belastung mit schädlichen Stickoxiden in der Luft zu drosseln. In welcher Zwickmühle die Stadt jetzt sitzt.
- Das Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts macht den Weg frei für Diesel-Fahrverbote
- Auch Gelsenkirchen gehört zu den beklagten Städten der Deutschen Umwelthilfe
- Die Stadt hat kaum Möglichkeiten, die Emissionen an der Kurt-Schumacher-Straße zu senken
Nachdem das Stuttgarter Urteil am Freitag den Weg frei gemacht hat für die Verbannung von Diesel-Fahrzeugen aus dem Stadtgebiet, ist die Verwaltung in Gelsenkirchen „ebenfalls in Sorge, dass uns ein Fahrverbot trifft“, sagte Stadtbaurat Martin Harter in einer ersten Reaktion auf den Richterspruch. Denn auch Gelsenkirchen gehört zu einer Reihe von elf weiteren Städten, bei denen eine Klage der Deutschen Umwelthilfe wegen zu starker Stickoxid-Belastungen (NOx) anhängig ist.
Wann das Gelsenkirchener Verwaltungsgericht diese Klage verhandelt, ist offen. Entscheidend dafür ist, wann sich das Bundesverwaltungsgericht der Revision von Düsseldorf annimmt. Denn bis dahin, so die Vereinbarung zwischen Ministerien, Umwelthilfe und den Bezirksregierungen der Länder, ruhen weitere Verfahren. Die NRW-Landeshauptstadt zählt ebenso zu den Beklagten. „Für die Revision wurde noch kein mündlicher Verhandlungstermin anberaumt“, sagte Andreas Winnemöller, Sprecher der Bezirksregierung Münster.
EU droht mit hohen Strafgeldern
Das Urteil des obersten Gerichts in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten könnte die Bezirksregierung Münster und die Stadt in eine Zwickmühle stecken. Von EU-Seite drohen zum einen hohe Strafzahlungen, bis zu 50 000 Euro pro Überschreitungstag, die Münster partout vermeiden will.
Gelsenkirchen kommt aktuell auf einen Jahresmittelwert von 48 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft, acht mehr als erlaubt.
Zum andern ist die Stadt mit ihrem Latein hinsichtlich weiterer, emissionsreduzierender Maßnahmen so ziemlich am Ende angelangt. Ein Diesel-Fahrverbot an der Kurt-Schumacher-Straße, die von rund 35 000 Fahrzeugen täglich frequentiert wird, könnte zudem andere neuralgische Punkte erzeugen – etwa am Knotenpunkt Overwegstraße und Florastraße.
Stickoxide sind unsichtbar und gefährlich. Sie lösen Kopfschmerzen, Schwindel und Atemnot aus. Für Asthmatiker ist das Abgas besonders problematisch. Mit wachsender Konzentrationen steigt das Schlaganfallrisiko.
Sieben Millionen Kilometer Umwege
Bis zu sieben Millionen Kilometer an Umwegen, so die Schätzung der städtische Experten, fielen an, wenn man „an der Schalker Meile die Belastung um 30 Prozent reduzieren wollte“. Dessen nicht genug, verfügt Gelsenkirchen mit der Grothus-, Bismarck- und Kurt-Schumacher-Straße lediglich über drei Nord-Süd-Achsen – und die Erneuerung der Hafenmundbrücke ab Herbst über 15 Monate dürfte auf der Kurt-Schumacher-Straße wieder für ein deutlich erhöhtes Verkehrsaufkommen sorgen. Und damit auch für eine höhere NOx-Belastung.
Steigende Emissionen hier, massiver Druck von der EU dort – „ob die Bezirksregierung bei allem Verständnis für uns entsprechend handelt, ist fraglich“, sagt Martin Harter. Widerstandslos will er folgenschwere Anordnungen aus Münster „jedenfalls nicht hinnehmen“.
Schwierig, ein Umweltzone dauerhaft zu überwachen
Harter hat zudem Zweifel, ob die Vorschläge der Deutschen Umwelthilfe – etwa ein kostenloses ÖPNV-Ticket und die Einführung der blauen Plakette – als weitere mögliche Maßnahmen zielführend wären. Zumindest mit der Plakette, so Harter, hätte man in einer selektiveren Umweltzone bessere Möglichkeiten, „den Verkehr zu überwachen“. Theoretisch! Praktisch können das die Ordnungsbehörden aber wohl nicht leisten.
Mehr Subventionen in den öffentlichen Nahverkehr dürften angesichts leerer Haushaltskassen ebenso unrealistisch sein. Immerhin „zahlt Gelsenkirchen schon jetzt 50 bis 60 Millionen Euro im Jahr dafür“, so Harter. Denkbar für ihn: „Dass die Strafen in Milliardenhöhe für die Autokonzerne in den ÖPNV fließen und so preiswertere Tickets möglich machen.“ Aber letztendlich, so der Dezernent, „hilft wohl alles nichts, außer: Die Industrie liefert endlich saubere Motoren.“
>> Maßnahmenkatalog umgesetzt
Der Katalog zur Reduzierung der Feinstaub- und Stickoxid-Belastung umfasste: Tempo 50, Ampelphasenoptimierung, Anpassung des Bus- und Straßenbahnverkehrs, Begrünung der Schienen, Baumpflanzungen, Teilverlagerung des Durchgangsverkehrs per Umfahrung über die Uferstraße. Zur Diskussion standen auch Abrisse zur besseren Durchlüftung, angesichts schwieriger Eigentumsverhältnisse war das aber nicht umsetzbar.