Gelsenkirchen. . Die Sozialdemokraten fallen unter 38 Prozent, holen aber beide Direktmandate. Dass die AfD aus dem Stand 15 Prozent erreicht, beunruhigt viele.
- Die SPD in Gelsenkirchen fällt bei der Landtagswahl von über 50 auf unter 38 Prozent.
- Die Sozialdemokraten holen mit Heike Gebhard und Sebastian Watermeier beide Direktmandate.
- Die AfD erreicht aus dem Stand fast 15 Prozent, doppelt so viel wie in NRW.
Man muss nicht dabei gewesen sein, um ein Gefühl dafür zu haben, wie sich die Wahlpartys von SPD und CDU stimmungsmäßig unterschieden haben. Lange Gesichter im Ratssaal des Hans-Sachs-Hauses, wo sich die Genossen versammelten – Jubelstimmung zwei Etagen drüber im Raum „Newcastle upon Tyne“, wo sich die Christdemokraten vor Begeisterung kaum halten konnten.
„Das gehört als Demokrat dazu“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende im Rat, Klaus Haertel. „Da muss man auch Niederlagen akzeptieren.“ Doch diese ist, das weiß er, besonders bitter. In der Stadt, in der die Sozialdemokraten die absolute Mehrheit haben, in der sie auch bei der Landtagswahl 2012 über 50 Prozent holten, stehen nun nicht einmal mehr 40 Prozent der Zweitstimmen auf der Endabrechnung. Ein historisches Tief! So schlecht schnitt die SPD in Gelsenkirchen zuletzt bei der Landtagswahl 1950 ab. Damals holte sie 37 Prozent.
CDU hat ihr gestecktes Ziel erreicht
Damit hat die CDU ihr gestecktes Ziel, die SPD in dieser Stadt unter 50 Prozent zu drücken, eindrucksvoll erreicht. Der Stolz auf diesen Erfolg – er steht in den grinsenden Mienen auf der Wahlparty. Und dass die Temperatur in dem kleinen Raum so hoch ist wie das landesweite CDU-Ergebnis, stört auch keinen. Wolfgang Heinberg, der CDU-Fraktionsvorsitzende im Rat, schwärmt: „Dass wir vor der SPD liegen werden, damit habe ich seit einigen Tagen gerechnet. Aber nicht, dass es so deutlich wird.“
Jubel auch bei der FDP – auch wenn das örtliche Ergebnis mit gut acht Prozent unter dem des Landesschnitt liegt. Die Lindner-Partei gehört eindeutig zu den Siegern.
Piraten in der Bedeutungslosigkeit
Dass zu diesen Gewinnern auch die AfD gezählt werden muss, beunruhigt viele. Aus dem Stand knapp 15 Prozent holt die Protestpartei in Gelsenkirchen – etwa doppelt so viel wie im ganzen Land. „Mit dem guten Abschneiden der AfD will ich mich nicht abfinden“, sagt Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski, verweist aber auch darauf, dass die Schuld dafür bei allen Parteien zu suchen sei.
Die Verlierer des Abends sind die „Piraten“. 2012 lagen sie hier noch bei acht Prozent, jetzt steht die Null vor dem Komma. Die Protestpartei von einst scheint in der Bedeutungslosigkeit angekommen.
Heike Gebhard gewinnt im Wahlkreis 74
Heike Gebhard steht vor weiteren fünf Jahren im Düsseldorfer Landtag. Die 63-jährige SPD-Politikerin, seit 2005 im Landtag, gewann zum vierten Mal in Folge ihren Wahlkreis – diesmal gegen ihren CDU-Herausforderer Sascha Kurth. Das Ergebnis fiel allerdings deutlich schlechter aus: Gegenüber 2012 (56,6 Prozent der Erststimmen) sackte sie um 13,9 Prozentpunkte ab.
Sebastian Watermeier gewinnt im Wahlreis 75
Das Direktmandat mit 42,6 (statt 56,5) Prozent geholt, aber als Regierungspartei verloren. Der Landtagsstart hätte für Sebastian Watermeier besser ausfallen können. Als Nachfolger von Markus Töns fürchtet der Historiker um den Gelsenkirchener Draht nach Düsseldorf: „Da ist eine Regierung gewählt worden, die konsequent an den Interessen des Ruhrgebiets vorbei regieren wird.“
>>> Kommentar: Katerstimmung bei der SPD
Wenn das der „Schulz-Effekt“ war, auf den die Sozialdemokraten noch vor einigen Wochen so gehofft hatten – sie hätten wohl gerne darauf verzichtet. Die SPD stellt nicht mehr die stärkste Fraktion im Land, in Gelsenkirchen ist sie von über 50 auf deutlich unter 40 Prozent gekracht, Hannelore Kraft ist als Ministerpräsidentin abgewählt. Diese drei Fakten wiegen so schwer – da lösen auch die beiden gewonnenen Direktmandate keine Jubelstürme aus. Katerstimmung bei der SPD in Gelsenkirchen!
Dass Heike Gebhard und Sebastian Watermeier ihre Wahlkreise gewinnen, davon war auszugehen. Wie schwach sie dann aber abschnitten, überrascht. Man muss sich das vor Augen führen: Vor fünf Jahren gewannen Gebhard im Norden und damals Markus Töns im Süden ihre Wahlkreise jeweils mit weit über 30 Prozentpunkten Vorsprung vor ihren CDU-Herausforderern. Diesmal sind es keine 20. Das nagt am Selbstbewusstsein.
Jubelstimmung dagegen bei den Christdemokraten: Dass die CDU in Gelsenkirchen Direktmandate holt, damit konnte niemand ernsthaft rechnen. Insofern sind die Zahlen von Christina Totzeck und Sascha Kurth keine Niederlagen, sondern starke zweite Plätze. Dazu die Freude über den Wahlsieg von Armin Laschet, die Vorfreude auf ein schwarz-gelbes Bündnis – für die CDU ein perfekter Abend.
Was beide Lager eint, ist der Schock über das Abschneiden der AfD: knapp 15 Prozent. Das spricht dafür, dass der Frust über „die Etablierten“ hier extrem groß ist.
Spannend bleibt die Frage, was dieser Regierungswechsel für Gelsenkirchen bedeutet. Klar: Die CDU bewertet das positiv, die SPD nicht. Fest steht: Die Stadt verliert über ihre SPD-Direktkandidaten im Landtag den Kontakt in die Regierung. Zwar verweist Frank Baranowski darauf, dass andere Städte dieses Problem derzeit noch umgekehrt hätten. Aber leichter wird es für ihn nicht werden. Baranowski muss sich auf einen Ministerpräsidenten Armin Laschet einstellen. Er wird sich dran gewöhnen – müssen.