Gelsenkirchen. Ein Selbstversuch: Drei Stunden Wartezeit beim Straßenverkehrsamt. Mitarbeiter sind krank, im Urlaub oder für die Landtagswahl abgestellt.

  • Krank, im Urlaub oder für die Landtagswahl abgestellt: Mitarbeitermangel im Straßenverkehrsamt
  • Kunden müssen erst einmal zwei, drei Stunden warten, um ihr Auto an-, ab- oder umzumelden
  • Die Kunden sind erbost, machen ihrem Ärger lauthals Luft – eine Mitarbeiterin zeigt Verständnis

Sie wuseln durch die sterile Halle, Autoschilder in der linken Hand, das Handy in der Rechten. Andere sitzen schimpfend in Stuhlreihen und starren auf eine der beiden Anzeigentafeln. Schon wieder taucht die ersehnte Nummer nicht auf. Es beginnt die Wartezeit im Straßenverkehrsamt. Wer heute in Gelsenkirchen ein Auto anmelden möchte, der muss über Leidensfähigkeit, Ausdauer, Sitzvermögen und nicht zuletzt über Zeit verfügen.

Joggingprogramm während der Wartezeit

Die Halle erinnert an ein riesiges Vorzimmer, dessen einzige Tür für die ungeduldig Wartenden geradewegs ins Himmelreich zu führen scheint. Taucht ihre Nummer auf, die sie beim Betreten der Amtsstube gezogen haben, sind sie an der Reihe, dürfen beim Sachbearbeiter ihr Fahrzeug an-, um- oder abmelden. Der lange Blonde geht im Trainingsanzug aufgeregt hin und her, scheint, das versäumte Joggingprogramm nachholen zu wollen. Zeit dazu wird er haben und den Platz auch. Wer sich auf das Abenteuer einlässt, seinem Liebling aus Blech und Kunststoff eine Nummer zu verpassen, muss ein geduldiger Mensch sein.

Ehemalige Heimat der Landeszentralbank

Dort, wo einst die Landeszentralbank zu Hause war und Menschen die letzten verbliebenen D-Mark-Scheine eintauschen konnten, schluckt heute der Geldautomat die Gebühren für TÜV-Plaketten, Anmeldung oder Wunschkennzeichen. Für Automaten-muffel hat die Verwaltung gleich den Zusatz angebracht, keine Parkmünzen einzuwerfen. Die bekommt jeder Autofahrer, der nach stundenlanger Wartezeit den Parkplatz hinter dem Straßenverkehrsamt wieder verlassen will.

Exotische Flüche und lautstarke Dialoge

Hier vor Ort wird deutlich, dass in Gelsenkirchen alle Nationalitäten zu Hause sind und Autofahren offensichtlich zur Grundversorgung gehört. Man begegnet allen Sprachen, hört exotische Flüche, wird unfreiwilliger Ohrenzeuge, wenn lautstarke Dialoge auch über zehn Meter Distanz geführt werden. Der Mann mit den weißen Haaren wartet bereits seit zweieinhalb Stunden. Die Nummern, die mit vier beginnen, wollen einfach nicht kommen. Dabei will er sein Auto nur abmelden. Er beschwert sich beim Empfang.

Bei Zahlen mit der Acht am Anfang geht es schneller

Der Sachbearbeiter sei in Urlaub, kein Vertreter da, wir sollten Geduld haben, meint er. Immer häufiger leuchten die Zahlen mit einer Acht am Anfang auf. Die Besitzer dieser Nummern sind schneller an der Reihe, weil sie schon mal da waren und wichtige Unterlagen vergessen hatten.

Ewigkeiten vergehen, bis auch die zweistelligen Nummern auf Touren kommen. Ein Autofreund, der die Wartezeit für einen Einkaufsbummel nutzte, reagiert entsetzt über den Fortschritt auf der Anzeigetafel. Gerade mal um sechs fortlaufende Nummern ist die zweistellige Zahlenreihe innerhalb einer Stunde gewachsen.

Unruhige Kinder und genervte Erwachsene

Eine Familie hat den Nachwuchs mitgebracht, der mit wackeligen Füßen über den Teppichboden stolpert. In der hinteren Ecke plärrt ein anderes Kind. Die Schimpfkanonaden nehmen zu. Was machen die eigentlich den ganzen Tag? „Eine Zumutung“, ruft ein Mann im feinen Zwirn.

Der untersetzte Herr nebenan ist fest entschlossen, sich zu beschweren, einfach reinzugehen und ordentlich auf den Putz zu hauen. „Was bilden die sich ein“, ruft der Nachbar, vielleicht Anfang 40, laut in den Saal. Mit seinen geflickten Jeans und mit Sprüchen drapierter Lederjacke könnte er als Berufsjugendlicher durchgehen.

Freundliche Mitarbeiterin hat Verständnis

Dann erscheint sie auf der Tafel, die Nummer 63. Meine Nummer. Drei Stunden sind vergangen. Eine freundliche Mitarbeiterin zeigt Verständnis für den Unmut der Kunden. Die Belegschaft sei dezimiert durch Urlauber und Kranke. Und dann hat die Stadt auch noch Kollegen für die Landtagswahl abgezogen. Geduld, Toleranz und Verständnis sind also wohl noch länger gefragt.