Gelsenkirchen. Im Volkshaus Rotthausen hatte die SS 1933 ihre Führerschule errichtet. Dr. Daniel Schmidt vom ISG referierte über die Geschichte der Kaderschmiede.
. Das Volkshaus Rotthausen war über Jahrzehnte durch ein lebendiges Innenleben geprägt. Jugendlichen war es gemütliche Herberge, Sportlern ein Trainingsort, Kommunalbeamten Arbeitsstätte, Auszubildenden ein Wohnheim. Doch taucht in der Chronik auch ein dunkles Kapitel auf. In der ersten Phase des Dritten Reiches diente das Gebäude der SS als so genannte Führerschule. Dr. Daniel Schmidt, Mitarbeiter im Institut für Stadtgeschichte, hat intensiver geforscht, was sich hinter der Kaderschmiede der Nazis verbirgt. Im Volkshaus präsentierte er etwa 50 Bürgern seine Erkenntnisse.
Als das Volkshaus am 10. Dezember 1920 eingeweiht wurde, war es Treffpunkt für Bürger und Verwaltung zugleich. Denn nicht nur die Gemeindespitze, auch Vereine, Theaterbühne und eine Sporthalle waren in dem Backsteingebäude zu Hause. Nach der Eingemeindung großer Teile der Bürgermeisterei Rotthausen nach Gelsenkirchen zogen die Beamten 1924 aus. Vereine, viele auch aus dem sozialistischen und kommunistischen Arbeitermilieu, nutzten das Gebäude weiter.
SS nahm das Haus in Besitz
Für die Nazis hatte das Haus, das als Mittelpunkt eines „roten“ Rotthausen galt, besondere Bedeutung. So interessierte sich die SS für das Gebäude im Mittelpunkt des Ortes, nahm es schließlich in Besitz. Ein Sturmbann der in Münster beheimateten 19. SS-Standarte hatte sich seit Frühjahr 1933 zunächst auf dem Gelände des Flugplatzes in Rotthausen eingerichtet. Dort waren kasernenähnliche Gebäude vorhanden, die auch als Polizeiunterkunft genutzt worden waren. Über städtische Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurde das Gelände 1933 aus- und umgebaut.
Karl Schulz, Der Führer der Gelsenkirchener SS, hatte größere Pläne. Der Sturmbannführer war ab 1924 Angehöriger der preußischen Schutzpolizei, aus der er 1931 wegen Dienstunfähigkeit entlassen wurde. Allerdings dürfte seine Mitgliedschaft in der NSDAP eine Rolle bei der Entlassung gespielt haben. Denn preußischen Beamten war es untersagt, dort Parteimitglied zu sein. Nach der Entlassung schloss sich Schulz der SS an, stieg schnell auf.
Zentrale Führerschule
Er wollte in Gelsenkirchen eine zentrale Führerschule für die gesamte SS der Bezirke Westfalen, Rheinland und Hessen einrichten. Sie sollte der Fortbildung und Qualifizierung arbeitsloser SS-Männer dienen. Unterstützung erhielt er von August Heißmeyer, der 1933 als SS-Oberführer den zuständigen SS-Abschnitt 17 in Münster kommandierte. Er machte eine steile Karriere, war unter anderem auch Inspekteur der Konzentrationslager und der Totenkopfstandarten. Schulz erhielt auch Rückendeckung durch die Stadt. Sie stellte ihm das Volkshaus und die angrenzenden Sportplätze der Sportanlage „Hindenburg“ zur Verfügung. „Die monatliche Anerkennungsgebühr,“ weiß Schmidt, „betrug 10 Reichsmark.“ Turnhalle und Sportplätze musste sich die SS mit dem Stadtjugendamt und den örtlichen Turn- und Sportvereinen teilen.
Rassenkunde und Erblehre
1500 SS-Männer marschierten am 13. August 1933 bei der Einweihung der Führerschule von der Wiese über den alten Markt ins Hindenburgstadion. Schulz übernahm die Leitung, wurde zum SS-Obersturmbannführer befördert. Auf dem Lehrplan stand unter anderem auch Rassenkunde und Erblehre. In der Fahrschule konnten SS-Männer Führerscheine aller Klassen erwerben. Schmidt: „Das Volkshaus, das jetzt Horst-Wessel-Haus hieß, entwickelte sich nach erfolgten Anbauten zur zentralen Adresse der SS in der Stadt.“ Es habe auch im Mittelpunkt der Totenfeier für den Rotthauser SA-Mann Ewald Zeitz gestanden, der unter ungeklärten Umständen erschossen worden war.
Schule 1935 aufgelöst
Schulz, dessen Pläne für eine Erweiterung um eine Siedlerschule nicht gestützt wurden, wurde nach Würzburg zur 56. SS-Standarte versetzt. Nach den Recherchen von Daniel Schmidt wurden ihm später Veruntreuung, Zechprellerei und Korruption vorgeworfen. Im Juni 1934 suspendierten ihn die Nazis. Er schied der SS aus, wohnte aber mit seiner Famlie bis 1936 weiter im Volkshaus. Er starb 1989 in Bad Berleburg. Die Schule wurde im Sommer 1935 aufgelöst.
Viele Lehrgangsteilnehmer der Gelsenkirchener SS-Schule waren später an der Organisation des KZ-Systems und des millionenfachen Massenmordes beteiligt. Schmidt: „Unter ihnen befanden sich spätere Massenmörder, Ideologen, SS-Soldaten, KZ-Wachmänner, Polizisten und gescheiterte Existenzen.“