Gelsenkirchen. Die isländische Mezzosproanistin Hanna Dóra Sturludóttir fliegt für jede Opern-Vorstellung aus Reykavik ins Ruhrgebiet ein. Ein Gespräch.
Huh, huh, huh! Mit ihrer gewaltigen Klatsch-Choreographie eroberten die isländischen Fußball-Fans bei der Europameisterschaft 2016 die Herzen der Menschen im Sturm. Island stellte sich als leidenschaftliche Fußballnation vor. Aber Island, eine Opernnation? Wie sehr klassisches Musiktheater auch im Land der Vulkane und Geysire tatsächlich gepflegt wird, dafür macht zurzeit Mezzosopranistin Hanna Dóra Sturludóttir eindrucksvoll Werbung. Sie gastiert sehr erfolgreich am Musiktheater im Revier.
Bevor sie am Abend stimmgewaltig „Die Passagierin“ in der Oper von Mieczysław Weinberg auf der Bühne des Musiktheaters besingen kann, muss sie allerdings im richtigen Leben einige Stunden zuvor selbst in die Rolle der Passagierin schlüpfen. Und zwar im Flieger von Reykjavik nach Frankfurt. Opernsängerin Hanna Dóra Sturludóttir ist im Lande der Feen und Elfen zu Hause und reist vor jeder Vorstellung von Island nach Gelsenkirchen an, um in die Rolle der KZ-Aufseherin Lisa zu schlüpfen.
„Alle Isländer sind musikalisch“
Eine Rolle, die sie erfüllt und für die sie die lange Anreise mit Flugzeug und Bahn gerne in Kauf nimmt. In der gefeierten Inszenierung singt und spielt sie eine Frau, die im Jahre 1960 glaubt, auf einem Luxusliner einer ehemalige KZ-Gefangenen wieder zu begegnen. Damit beginnt die Auseinandersetzung mit einer schrecklichen Vergangenheit. Eine schwierige, zwielichtige Partie, die die hochgelobte Sängerin mit packender Intensität verkörpert.
„Ich kannte die Oper vorher nicht“, erzählt Hanna Dóra Sturludóttir im Gespräch mit der WAZ, „aber als ich darüber gelesen habe, habe ich sofort zugesagt.“ Schwere Kost sei das: „Lisa schwankt zwischen tiefer Schuld, Pflichtbewusstsein und Vergessenwollen.“ Die Figur sei ihr nicht unbedingt sympathisch, aber: „Ich kann sie verstehen.“ Froh sei sie, dass sie selbst nie in so einer Situation gewesen sei wie einst Menschen wie Lisa: „Man muss sich selbst fragen: Wie hätte ich mich damals verhalten?“
Der Figur etwas Menschliches geben
Der Sängerin ist es wichtig, dass sie ihrer zwiespältigen Figur auch etwas Menschliches gibt. Da hat sie es, denkt sie, als Isländerin leichter: „Mir war vorher nicht so bewusst, dass doch alle Deutschen irgendwie diese Schuld mit sich tragen.“ Sie selbst fühlt sich hier inzwischen ebenso zu Hause wie in Island: „Nicht zuletzt, weil ich Deutsch fast wie meine Muttersprache spreche und mich darin musikalisch besonders gut ausdrücken kann.“
Sturludóttir begann ihr Gesangsstudium zunächst in Reykjavík, setzte es dann an der Universität der Künste Berlin fort. Gleich nach dem Abschluss erhielt sie Engagements an den Opernhäusern von Bonn, Weimar, Kassel und der Komischen Oper Berlin, gastierte bei großen Festspielen.
„Alle Isländer sind irgendwie musikalisch.“
Ihr Interesse gilt inzwischen vor allem dem zeitgenössischen Musiktheater. Regelmäßig arbeitet Sturludóttir mit dem Isländischen Symphonieorchester und der Isländischen Oper zusammen: „Wir sind ein junges Land, unsere Oper wird erst 40 Jahre alt. Die meisten Sänger sind Isländer.“ Und treffen auf ein sehr interessiertes Publikum. „Alle Isländer“, lacht sie, „sind irgendwie musikalisch, singen, spielen ein Instrument.“ Um die Sopranistin am MiR zu erleben, kamen übrigens viele Isländer, darunter auch die Operndirektorin, inzwischen nach Gelsenkirchen.