Gelsenkirchen. . Die städtische Kita an der Julius-Frisch-Straße in Bismarck feiert den Internationalen Tag der Muttersprache. Die Eltern machen ebenfalls mit.
Arabische Musik schallt aus der Sporthalle des Kindergartens, fast so laut wie das Kinderlachen. Die CD mit poppigen Klängen aus Marokko hat Hanan Azzaoui mitgebracht. Wie ihre vierjährige Tochter Lina und gut 30 weitere Knirpse hat sie sich ein Tuch mit klirrenden Münzen umgebunden, schwingt ihre Hüften und bewegt ihre Arme rhythmisch über dem Kopf. Beim Bauchtanz haben die kleinen Teilnehmer ebenso leuchtende Augen und ein breites Grinsen wie später beim Ententanz oder als sie „Alle meine Entchen“ singen, in einer rockigen Version von Queen, im Takt von „We Will Rock You“.
Am Dienstagmorgen ist vieles anders als sonst, aufregender. Denn die Bismarcker Kita an der Julius-Frisch-Straße feiert den Internationalen Tag der Muttersprache, seit sechs Jahren hat dieses Fest dort Tradition. Dass Mütter ausnahmsweise mit in der Kita sind, gehört dazu. Sie lesen etwa Geschichten auf Türkisch vor, spielen Plumpsack auf Polnisch oder singen Lieder aus dem Ausland. Zudem haben sie Essen aus ihrer Heimat aufgetischt, darunter syrischen Salat, türkisches Gebäck und deutschen Zitronenkuchen.
Die eigenen Wurzeln wertschätzen
Die 100 Kita-Kinder haben insgesamt 13 verschiedene Muttersprachen, wobei die meisten Türkisch sprechen. Dass sich in den vergangenen Jahren die Vielfalt immer mehr vergrößert, freut Karin Broekmann, die bei Gekita elf Kindergärten im Bundesprojekt Sprachkita betreut. „Für den Zweitspracherwerb ist das sehr nützlich“, sagt sie. Denn dadurch werde Deutsch zur gemeinsamen Sprache für die Kinder, innerhalb eines Jahres hätten sie diese dann spätestens gelernt.
„Es ist eine Macht, mehrere Sprachen zu sprechen“, sagt Broekmann. „Die Kinder sind zweisprachig, wenn sie zur Schule kommen“, bestätigt Kita-Leiterin Martina Dohle. „Wir wollen, dass sie ihre eigene Sprache wertschätzen und dass sie lernen, dass jede Sprache den gleichen Stellenwert hat.“ Insbesondere, sagt Karin Broekmann, „weil die Muttersprache die Herzenssprache ist. Sie ist mit Emotionen verbunden. Kuscheln, Liebhaben und Schimpfen geht nur richtig in der Muttersprache.“
Kinder überwinden die Angst, ausgelacht zu werden
Die vierjährige Lina spricht in der Kita eigentlich nur ungern Arabisch, sie befürchtet, ebenso wie syrische Kinder, dass sie dann ausgelacht wird. Sie will sich nicht anders fühlen als die übrigen Kinder. Doch jetzt ist das anders. Sie mag plötzlich, dass sie etwas kann, was selbst die Erzieherinnen nicht können. Dass sich ihre Freunde jetzt für Marokko interessieren, wissen wollen, wo das Land liegt und darüber staunen, dass es dort Kamele gibt. „Der Bauchtanz macht mir viel Spaß“ – und auch allen anderen Kindern, obwohl sie nicht aus Marokko kommen.
„Ich finde den Tag der Muttersprache toll“, sagt Linas Mutter Hanin Azzaoui. Die 34-Jährige ist in Gelsenkirchen geboren und aufgewachsen, doch ihre Erstsprache ist ebenfalls Arabisch. Für besonders gelungen hält sie, dass der Kindergarten den Aktionstag mit Landeskunde verbindet. „Die Kinder lernen, wo die verschiedenen Länder liegen und wo die Namen ihrer Freunde herkommen.“ Neben dem Bauchtanz sei aber auch die arabische Schrift für die Kinder sehr spannend, einige hätten sie gerade zum ersten Mal gesehen.
Mutter wünscht sich die bestmögliche Zukunft für ihre Kinder
Bei aller Freude über die Wertschätzung der Mehrsprachigkeit im Bismarcker Kindergarten möchte Azzaoui, die als Abteilungsleiterin in einem Telekommunikationsunternehmen arbeitet, dass ihren drei Kindern die bestmögliche Zukunft offensteht. „Mir ist wichtiger, dass sie gut Deutsch können“, sagt sie. „Die Großeltern sehen das aber anders.“ Denn sie wollen sich mit ihren Enkeln in ihrer Muttersprache unterhalten können. Doch Lina denkt längst nicht an Schulnoten, Studium und Beruf, sondern freut sich über die nächste Runde beim marokkanischen Bauchtanz.
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Der Internationale Tag der Muttersprache ist von der Unesco ausgerufen und wird seit dem Jahr 2000 jährlich am 21. Februar begangen.
„Wir waren die Ersten in Gelsenkirchen“, sagt Kita-Leiterin Martina Dohle. Vor sechs Jahren hat sie den Aktionstag kennengelernt und dann im Kindergarten gefeiert. Inzwischen begehen ihn zahlreiche Einrichtungen in der Stadt.