Gelsenkirchen. Die Bewerberzahlen gingen in Gelsenkirchen drastisch zurück, jeder Vierte fällt durch. Dehoga-Geschäftsführer Nothoff vermisst Genussphilosophie.

  • Messeziel: Auszubildenden den Wert eines Essens vermitteln
  • Denn: Esskultur besteht häufig nur noch aus Tütenkost
  • Der Tisch muss zu erschwinglichen Preisen gedeckt werden

Das Erlebnis einer guten Küche scheint nur noch flüchtig zu sein. Bürgern fehlt offensichtlich die Zeit fürs Genießen. Immer mehr Bäckereien bieten für den schnellen Mittagstisch Speisen an. Werden Supermärkte die nächsten sein, die warme Gerichte im Sortiment führen? Der eigentlich kreative Kochberuf hat an Attraktivität verloren. Im Berufskolleg bereiteten sich vor Jahren in drei Klassen 90 junge Leute auf ihren Job in der Küche vor. Heute sehen gerade mal 25 Jugendliche Koch als ihr Berufsziel. „Man muss den Wert und die Krönung eines gelungenen Essens an Auszubildende vermitteln“, sagt Dehoga-Geschäftsführer Rainer Nothoff. Wenn das Angebot an fantasiereicher Küche stimme, werde sich auch die Genuss-Philosophie wieder durchsetzen, glaubt Nothoff.

Berufsbild positiv vermitteln

Dass Fantasie, Ernährungsbewusstsein, kreative und ausgewogene Kost den Küchenchef anleiten sollten, zeigte die Fachmesse Food Special in Bochum. Sie wies Wege, wohin der Trend gehen sollte, um authentisches Essen wieder zum Erlebnis zu machen. Prominente Köche demonstrierten ihre Küchenkreationen, zeigten, wie Heimat schmecken kann. Mitorganisator der Messe war das Gelsenkirchener Unternehmen Pleiss, das im Deutschlandweiten Service Bund organisiert ist. Ihm gehören 33 selbstständige Großhändler an, die 1 Mrd Umsatz jährlich erzielen. Allein 900 der etwa 2500 zu betreuenden Betriebe werden von den Gelsenkirchenern beliefert.

Seine Kochkünste demonstrierte auch Lucki Maurer bei der Messe.
Seine Kochkünste demonstrierte auch Lucki Maurer bei der Messe. © Service-Bund

Kein Bewusstsein für Nachhaltigkeit

Geschäftsführerin Anette Pleiss-Köhler, glaubt, dass das Bewusstsein einer frischen und nachhaltigen Küche noch in zu wenigen Köpfen vorhanden sei. „Die Esskultur in vielen Haushalten besteht nur noch aus Tütenkost“. Dabei gehe der Trend in vielen Gaststätten zur Qualität, hin zum frischen Fleisch aus der Region. Durch kurze Wege zum Schlachthof hätten Wirte auch das Tierwohl im Auge. Doch das Berufsbild des Kochs werde nicht positiv genug vermittelt. Sie erwartet mehr Unterstützung durch Verbände, um auf die Kreativität des Berufs hinzuweisen. „Wie soll eine Gaststätte ein Essen noch à la carte zubereiten, wenn der Nachwuchs für die Küche fehlt.“ Es gebe genügend Häuser, die Essen frisch zubereiten, auch wenn andere mehr und mehr Teilfertigprodukte einsetzten. Die 56-jährige Expertin ist sicher, dass die Kundenbindung durch frische Ware, werthaltiges Essen und individuelle Betreuung verstärkt werden könne.

Der Stadtsüden hat ein Defizit

Dehoga-Geschäftsführer Rainer Nothoff sieht vor allem im Gelsenkirchener Süden ein Defizit an gut bürgerlicher deutscher Küche. Einige der gut 100 Mitglieder mussten aufgeben, weil ein Nachfolger fehlte. Ein Problem, das verstärkt auf weitere Restaurantbetriebe zukommen könnte. Als Ergänzung zur heimischen Küche wünscht sich Nothoff zusätzliche Angebote mit exotischen Produkten. Er verbindet das Erfolgsrezept eines Restaurants mit der Einzigartigkeit des Angebots. Dass das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt, hält er besonders im Ruhrgebiet für bedeutend. Auch für eine Familie mit zwei Kindern müsse der Tisch in einem Restaurant zu erschwinglichen Preisen gedeckt werden. Nothoff wünscht sich, dass weitere Betriebe nach der Philosophie handeln: „Kinder sind ausdrücklich erwünscht.“

Durch Praktika Küchenluft schnuppern

Als Systemproblem sieht Rainer Nothoff den Mangel an Nachwuchs. „Alle wollen Häuptling sein“, niemand die unangenehmere Arbeit erledigen. So gebe es in der Ausbildung zu Restaurant-Fachleuten eine große Nachfrage, weil sie nach der Ausbildung in allen Bereichen der Gastronomie und des Hotelgewerbes eingesetzt werden können. Kombinierte Studiengänge führten zum Bachelor-Abschluss, mit dem die Absolventen auch im Management arbeiten können. Die hohen Durchfallquoten bei der Kochausbildung ärgern Nothoff. Noch vor Jahren schafften fast 50 Prozent die Prüfung nicht.

Jeder Vierte fällt durch

Heute fällt immerhin noch jeder vierte durch. Einen Großteil der Jugendlichen hält Nothoff für nicht ausbildungsreif. Friedrich Gabel, Abteilungsleiter duale Ausbildung am Berufskolleg, glaubt, dass der Hype, der durch Starköche ausgelöst worden sei, längst verblasst ist. Jugendliche tendierten heute zu beliebteren Berufen wie Mechatroniker. Auch geburtenschwache Jahrgänge und unattraktive Arbeitszeiten führten zu Ausbildungs-Rückgängen. Gabel: „In der Gastronomie ist die Freizeit deutlich eingeschränkt.“ Im letzten Jahr kamen auf 30 Angebote 24 Bewerber. Friedrich Gabel empfiehlt Jugendlichen, Küchenluft zu schnuppern: „Beim Praktikum im Gastrobereich werden sie die Kreativität des Kochberufs spüren.“