Gelsenkirchen. Vom Notizbuch über Löffel bis zum Tatortfoto: Ein Buch des Instituts für Stadtgeschichte zeigt faktenreich an 25 Objekten Lokalhistorie auf.
„Die Idee, Geschichte an Objekten zu erzählen, ist ja nicht neu“, sagt Dr. Daniel Schmidt vom ISG, dem Gelsenkirchener Institut für Stadtgeschichte. Stilprägend war hier Neil MacGregor. Er erzählte zwei Millionen Jahre Weltgeschichte anhand von 100 ausgewählten Schaustücken des British Museum. Nun: Beim Institut für Stadtgeschichte sind es ein Viertel der Exponate – und die zeitliche Spanne ist nicht ganz so riesig. Sie reicht von 1875 bis in die Gegenwart.
Vorratshaltung in entbehrungsreichen Zeiten
„Eine Geschiche des modernen Gelsenkirchen in 25 Objekten“ erzählt das Buch, das im Klartext-Verlag als Band 20 der ISG-Schriftenreihe erschienen ist. Alexander Kraus und Schmidt sind die Herausgeber. Als Autoren tätig wurden angehende Historiker. Sie lieferten, durchaus faktengesättigt, aber unterhaltsam und gut bebildert, Geschichten zur Geschichte der Stadt. Festgemacht an allerlei Objekten, die man nicht unbedingt mit Historie in Verbindung bringt. Da ist beispielsweise das Einkochglas von „Weck“ , 20 Zentimeter hoch, millionenfach produziert. Maria Herberhold erzählt an dem gläsernen Stück von Versorgungslage und Gartenwirtschaft im Pott, von Hauswirtschaft und nötiger Vorratshaltung in entbehrungsreichen Zeiten.
Oder da ist das Zahnrad vom Junkerweg, 23 Tonnen schwer, vier Meter im Durchmesser groß. Ein gewichtiges Relikt aus der Zeit, als Gelsenkirchen noch Stadt der 1000 Feuer war. Es war dennoch nie Teil einer Maschine, sondern Werbeträger. Von Gelsenguss gefertigt, warb es ursprünglich am Bahnhof für die erste Industrieausstellung nach dem Krieg und die wiedererwachte wirtschaftliche Potenz der Stadt.
Eindrücklich und erschreckend: Die Tatortfotografie exhumierter Leichen, ein Dokument aus dem Staatsarchiv Düsseldorf. Ein Polizeifotograf dokumentierte die schaurige Entdeckung – getötet wurden die neun Personen in den letzten Tagen des Krieges, verscharrt wurden sie im April 1945 in einem Bombenkrater. Die Opfer: wahrscheinlich sowjetische Zwangsarbeiter. Die Täter: bis heute nicht eindeutig ermittelt. Am 3. Mai 1961 schloss die Oberstaatsanwaltschaft Essen das Verfahren. Max Möllering hat diesen Kriminalfall nacherzählt und damit auch das System der Zwangsarbeit in der NS-Zeit beleuchtet.
Freizeit, Religion, soziale und politische Geschichte
Ursprünglich, erzählt Schmidt, „hatten wir 60 bis 80 Objekte im Auge. Wichtig war bei der Auswahl, dass die Leute auch irgendwas da drin sehen. Kompositorisch haben wir das natürlich ein wenig gesteuert, damit jedes Jahrzehnt präsent wird und wir alle Bereiche abdecken können, also Wirtschaft, Männer und Frauen, Freizeit, Religion, soziale und politische Geschichte.“ Lesbar aufbereitet wurden auch trockene Themen. Für Schmidt entspricht das dem Anspruch, „Studenten auch für einen Markt jenseits der Wissenschaft“ zu sensibilisieren.
Ein Objekt hat Schmidt dabei besonders überrascht: der Suppenlöffel aus dem Hans-Sachs-Haus, Alpaka versilbert, simpel, funktional, alltäglich – und doch Beleg für eine besondere Baugeschichte, die Gelsenkirchen ein herausragendes Denkmal bescherte.
>> 20. Band aus der Schriftenreihe des ISG
„Eine Geschichte des modernen Gelsenkirchen in 25 Objekten“ ist Teil der Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte.
Das 280-Seiten-Buch ist in 1000er Auflage beim Klartext-Verlag erschienen. Preis: 19,95 Euro. Erhältlich im lokalen Buchhandel und den WAZ-Leserläden. ISBN 978-3-8375-1649-4.