Gelsenkirchen. . Bei Müller’s Mühle im Stadthafen erfüllen Druckkörper aus der Kriegsproduktion noch heute ihren Zweck – Platz für 13 000 Tonnen Reis.

Wer kennt nicht Willy, den rotbefrackten Müller mit Zipfelmütze und Getreidesack auf dem Rücken. Das Müller-Männchen ist zum Symbol eines Gelsenkirchener Familienunternehmens geworden. Adolf Müller gründete Müller’s Mühle 1893. Seit 1913 wird im Innenhafen Getreide und Reis angeliefert. Heute kommt der Reis aus Indien, Argentinien oder Guayana, wird gelagert, gemüllert und in den Mühlenanlagen veredelt, ehe er in Millionen Haushalten im Kochtopf landet. So traditionsreich die Geschichte des Produzenten verlaufen ist, eine Kriegsepisode ist den meisten Gelsenkirchenern bis heute verborgen geblieben. Dabei sind die geheimnisvollen Bauteile im Hafen gar nicht zu übersehen. Dahinter steckt die kluge Idee von Adolf Müller, dem Sohn des Gründers, der am Grillo Gymnasium sein Abitur machte. Wie genial und unverwüstlich das Produkt sein würde, hätte sich der damalige Firmenchef nicht vorstellen können.

Konstrukt aus Stahl, als Kriegsmaterial gedacht

Es ist ein stählernes Konstrukt, das als Kriegsmaterial gedacht war und durch den klugen Einfall seines Baumeisters ausschließlich für friedliche Dienste genutzt wurde. Angefertigt wurde es im Werk Orange, ursprünglich in Bulmke zu Hause. Das Unternehmen stellte neben Brückenbauteilen und Eisenkonstruktionen auch Druckluftkessel für Dampfmaschinen in Kraftwerken her. Den Stahl bezog die Kesselfabrik vom Schalker Verein. Doch während des Krieges musste das Unternehmen auch U-Boot-Druckkörper herstellen, die zu den Kriegswerften verschifft wurden. Durch den Vormarsch der Alliierten Anfang 1945 wurde der Transport eingestellt. Das war für Adolf Müller der ideale Zeitpunkt, Mitstreiter für seine Idee zu gewinnen.

Er bat die britische Militärregierung um Erlaubnis, U-Boot-Körper für den Bau von Getreidesilos verwenden zu können. Die Militärs gaben schließlich die Genehmigung zur Weiterverarbeitung der U-Boot-Rümpfe. So entstanden aus 76 U-Boot-Teilen 40 Meter hohe Silos mit einem Fassungsvermögen von zwei Millionen Kilogramm Getreide.

Pfiffige Lösung gefunden

Die Rümpfe wurden mit weiteren Einzelteilen senkrecht aufgestellt, durch eine blecherne Einhausung wettergeschützt. Der Reis läuft durch die Auslauftrichter und wird auch heute noch in der ehemaligen U-Boot-Konstruktion gelagert.

© ISG

Produktionsleiter Tobias Breuer ist seit 25 Jahren für Müller’s Mühle tätig, hat in dem Unternehmen eine Ausbildung zum Müller gemacht.

Der erfahrene Mitarbeiter ist heute noch begeistert von der Idee des früheren Firmenchefs. Für ihn war dessen pfiffige Lösung der erste Friedensbeitrag auf dem Weg zur Entmilitarisierung. Der 40-Jährige kann sich täglich von der Zuverlässigkeit der riesigen stählernen Behälter überzeugen, die Platz für 2 000 Tonnen Reis bieten. Jährlich gehen etwa 65 000 Tonnen an Rohware durch die Silos.

Tobias Breuer ist froh, dass der geplante kriegerische Einsatz des U-Boot-Rumpfes nicht stattgefunden hat. Bis heute habe der tonnenschwere Silo die Rolle übernommen, Menschen regelmäßig mit Lebensmitteln zu versorgen. Er ist überzeugt, dass die U-Boot-Hülle ihren friedlichen Auftrag noch lange erfüllen werde. „Denn der wasserfeste Stahl“, glaubt Tobias Breuer, „ist unverwüstlich und wird wohl noch Generationen überstehen.“

Druckkörper waren in Schiffen gelagert

Werner H. (89) ist Bulmker. Er erinnert sich an die ehemalige Kesselkolonie. Kleine zweistöckige Häuser hätten sich hinter der Kesselfabrik Orange befunden. Über Gleisanlegen war das Werk mit dem Schalker Verein, Tor 4, an der Richardstraße verbunden, bevor es in den Hafen umgezogen sei.

Dabei fällt ihm noch eine ganz andere Geschichte ein. Er weiß, dass ein Mann aus Bulmke eine Halle auf dem Gelände des Schalker Vereins angesteckt und sich anschließend in einem Beichtstuhl der Pfarrei Heilige Familie versteckt habe. Im Krieg war Werner H. mit 16 Jahren als junger Flakhelfer in der Nähe der Schleuse 4 an der Uferstraße eingesetzt. Mehrere seiner Kameraden sind umgekommen. Beim Angriff auf Gelsenberg im Juni 1944 sei auch Müller’s Mühle getroffen worden. Werner H. hatte Glück, er befand sich auf dieser Kanalseite. Er erinnert sich: „Es kamen regelmäßig Schleppzüge vorbei, die mit Trägerriemen verstärkte Rohre transportierten. Im Schiff waren U-Boot-Druckkörper gelagert, die bei Orange gefertigt worden sind. Der Transport ging über den Rhein Richtung Holland zu den Werften.“

Die Historie des Unternehmens Willy, das Müllermännchen, gilt seit Jahrzehnten als Symbolfigur. Foto: Müller’s Mühle

1893 gründete Adolf Müller senior die Handelsagentur für Reis und Hülsenfrüchte. Der Sitz des Betriebes war in der Industriestraße 44-46. Um die Qualität selbst bestimmen zu können, nahm 1898 Müllers erste Mühle ihren Betrieb als Schälmühle auf. Das hier angewandte Verfahren ist durch das Enthülsen und Schälen verschiedener Rohwaren insbesondere von Hülsenfrüchten gekennzeichnet.

1913 bezog der Betrieb den heutigen Standort im Stadthafen in Schalke. Die damit verbundenen Vorteile lagen auf der Hand: Einerseits war das Straßennetz noch nicht so gut ausgebaut und andererseits konnten so größte Mengen natürlicher Rohware über den Rhein-Herne-Kanal zur Verarbeitung zu Müller’s Mühle und von dort aus anschließend in die jeweiligen Lager der Handelspartner verschifft werden. 1989 übernahm die VK-Mühlen AG, Hamburg, die heutige GoodMills Deutschland GmbH die Müller’s Mühle.

140 Mitarbeiter haben Job im Stadthafen

1993/1994 investierte das Unternehmen in die modernste Reismühle Europas. Ein vollautomatisches Hochregallager wurde in Betrieb genommen. Heute ist Müller’s Mühle einer der größten Reis-Veredler in Europa und als Marktführer bei Hülsenfrüchten auch größter Be- und Verarbeiter von Erbsen, Bohnen und Linsen in Nordeuropa.

Im Stadthafen, dem Stammsitz des Unternehmens, sind 140 Mitarbeiter beschäftigt. Bei einer Produktionskapazität von etwa 120 000 Tonnen liegt der jährliche Umsatz bei 60 Millionen Euro. Auch nach verschiedenen Eigentümern ist das Marken-Logo, das Müller-Männchen, erhalten geblieben. Es soll für traditionsreiche, handwerkliche Kompetenz stehen.