Gelsenkirchen. Dr. Ilse Führer-Lehner berichtet über die drohende Ausweisung ihres 20-jährigen Schützlings, dessen Asylverfahren in Kroatien eröffnet werden soll.
- Weil Mohamad (20) die Ausweisung nach Kroatien droht, hat Dr. Ilse Führer-Lehner eine Online-Petition gestellt
- Die Flüchtlingspatin des Syrers setzt alle Hebel in Bewegung, damit der junge Mann in Gelsenkirchen bleiben kann
- Ihr Schützling kam vor 14 Monaten nach Deutschland, nachdem sein kleiner Bruder bei einem Bombenangriff starb
Erst seit November ist Dr. Ilse Führer-Lehner ehrenamtliche Flüchtlingspatin unter dem Dach der Awo. Doch kaum, dass ihr Schützling Mohamad (20) und sie viel Zeit miteinander verbringen konnten, droht dem Syrer die Ausreise. Nicht in eine andere deutsche Stadt oder ein anderes Bundesland – nach Kroatien soll er. In das Land, durch das seine Flucht führte. Der Bescheid kam am 14. Dezember. Zwei Tage vor Heiligabend erfuhr der junge Mann, der seit 14 Monaten in Deutschland lebt, beim Ausländeramt, dass er am 3. Januar seine Fahrkarte abholen und sich am 5. Januar in den Zug setzen soll.
Einen Studienplatz hat der 20-Jährige sicher
Ilse Führer-Lehner (65), frisch pensionierte Politologin, ist entsetzt und zutiefst beunruhigt. Mohamad habe sich gut integriert, spreche gut deutsch und habe von der Fachhochschule in Mülheim an der Ruhr eine Zusage für einen Studienplatz. „Und nun soll er plötzlich Hals über Kopf nach Kroatien abgeschoben werden. In diesem Einzelfall läuft etwas völlig schief“, sagt sie.
13-jähriger Bruder kam bei Bomenangriff ums Leben
Aus Gesprächen mit ihrem „Patensohn“, wie sie Mohamad nennt, hat sie den Grund für seine Flucht erfahren: Mit 19 Jahren hat er sich in seiner Heimatstadt Daraa auf die beschwerliche Flucht gemacht. Daraa gehört zu den Städten, in denen 2011 der „Arabische Frühling“ in Syrien durch Protestbewegungen gegen das Assad-Regime ausgebrochen war. Mohamads Elternhaus wurde bei Bombenangriffen zerstört. Sein kleiner Bruder (13) kam ums Leben. Mohamad, der nach dem Abitur ein Wirtschaftsstudium begonnen hatte, floh mit dem Segen seiner Eltern – damit er in Sicherheit ist. Auf dem Weg über die Balkanroute, erzählt Ilse Führer-Lehner, sei er in Kroatien einige Tage im Gefängnis gewesen. Dort sollte er Fingerabdrücke nehmen lassen.
Fingerabdruck wird möglicherweise zum Verhängnis
Aber, über die Dublin-III-Verordnung bestens informiert, lehnten er und andere Flüchtlinge das ab. Deutschland sollte ihr Erstaufnahmeland sein. Die Polizisten hätten allerdings gesagt, die Fingerabdrücke hätten mit der Dublin-Verordnung nichts zu tun. „Man hat ihm mitgeteilt, er sei illegal eingereist, solle den Fingerabdruck abgeben und das Land verlassen.“
Und dieser Fingerabdruck wird Mohamad jetzt möglicherweis zum Verhängnis. Am 14. Dezember bekam der 20-Jährige den Bescheid: Sein Asylverfahren werde nicht in Deutschland, sondern in Kroatien eröffnet. Und das, wo er gerade seinen Cousin mit Familie in Gelsenkirchen wieder gefunden hat ... Patin Führer-Lehner will das nicht einfach hinnehmen. Mohamad habe sich gut eingelebt, spreche gut deutsch, habe eine Studienperspektive. Was solle er da in Kroatien?
Nächtliche Online-Petition an den Landtag in NRW
Sie setzte sich an den PC und schrieb noch in der Nacht zum 23. Dezember eine Online-Petition an den Düsseldorfer Landtag. Darin schildert sie die schlimmen Zustände in Mohamads Heimatstadt, seine Flucht, seine positive Entwicklung, seit er in Deutschland ist und dass er sich bereits sehr gut integriert habe. „Nun wird er wieder rausgerissen und muss bei Null anfangen. Ich bin sehr besorgt, ob er das bei all seinen Belastungen psychisch verkraftet.“ Sie will nichts unversucht lassen.
Die Ausländerbehörde war kurz vor Weihnachten nicht mehr erreichbar – um etwa die Frage zu beantworten, ob hier eine individuelle Einzelfallprüfung möglich ist?