Gelsenkirchen. . Reichsbürger fühlen sich dem „Königreich Preußen“ angehörig, Deutschland erkennen sie als Staat nicht an. Wie die Lage in Gelsenkirchen ist.

  • Auch in Gelsenkirchen leben so genannte Reichsbürger, die Polizei beziffert ihre Zahl auf 15 Personen
  • Zwölf Anhänger der Bewegung haben ihren Pass bei der Stadt abgegeben, weil er angeblich ungültig ist
  • Über die Zahl der Waffenbesitzer unter den Reichsbürgern schweigt sich die Polizei jedoch aus

Reichsbürger sind nicht nur harmlose Spinner. Spätestens seit dem tödlichen Schuss auf einen Polizeibeamten in Bayern im Oktober dieses Jahres oder nach der Beschlagnahme eines ganzen Waffenarsenals bei einem Wittener Paar am vergangenen Dienstag ist diese Bewegung mit ihren abstrusen Thesen wieder ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit gerückt.

In Gelsenkirchen leben nach Angaben der Polizei 15 Reichsbürger, oder zumindest 15 Menschen, die dieser Bewegung nahe stehen. Die Polizei stuft ihr Handeln „grundsätzlich als gefahrenträchtig“ ein, „denn sie befinden sich ideologisch oft außerhalb unserer Verfassung und Rechtsordnung“, wie Polizeisprecher Olaf Brauweiler erklärt.

Anhänger erkennen Bundesrepublik als Staat nicht an

Eine „Bewegung“ oder eine Ideologie existiert bei den Reichsbürgern nicht. Ihre Gedankenwelt besteht aus rechtsextremistischer, rassistischer und antisemitischer Ideologie, Verschwörungstheorien bis hin zu esoterischen Weltbildern. Eines haben alle Anhänger jedoch gemeinsam: Sie erkennen die Bundesrepublik Deutschland als Staat nicht an. Denn, so lautet ihre These, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort, sei aber von den Alliierten besetzt und werde von ihnen ausgebeutet. Häufig legen sie für ihr „Reich“ die Grenzen von 1937 zugrunde.

„In Gelsenkirchen treten die Reichsbürger nicht so renitent auf wie in anderen Städten“, sagt Stadtsprecher Martin Schulmann. Zwölf von ihnen haben ihre angeblich ungültigen Pässe abgegeben, die Verwaltung bewahrt sie nun auf. Und dass sie die Verwaltung mit Anträgen – etwa auf einen Staatsangehörigkeitsausweis – über die Maßen beschäftigen, auch davon ist die Stadt verschont geblieben. Gern fügen Reichsbürger bei der Angabe des Geburtsortes den Zusatz „Preußen“ oder „Königreich Preußen“ hinzu – was für Fragen und Schriftverkehr sorgt.

Legitimation von Beamten wird nicht anerkannt

Eine weitere Variante für Arbeit und Ärger: der ESta-Auszug. Das Register gibt Auskunft über Entscheidungen der Behörde und den Grund der Anträge. Die Reichsbürger sehen als Grund das Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht von 1913, das allerdings nicht mehr gültig ist. Da das ESta-Register das überholte Gesetz nicht als Grund aufführt, sehen sich anderorts die Sachbearbeiter persönlichen und schriftlichen Beschwerden ausgesetzt – bis hin zur Dienstaufsichtsbeschwerde.

Bislang hielt sich der bürokratische Ärger hier in Grenzen. Auch die Polizei bestätigt das. Gänzlich frei ist sie aber davon nicht. „Bei Unfällen oder Verkehrskontrollen kommt es bei der Feststellung der Personalien öfter zu Diskussionen. Reichsbürger erkennen die Legitimation der Beamten, sprich den Dienstausweis, nicht an“, sagt Olaf Brauweiler.

Das eingezogene Waffenarsenal in Witten wirft die Frage auf, wie viele von den Reichsbürgern in Gelsenkirchen Schusswaffen besitzen – dazu will die Polizei aber keine Angaben machen. Brauweiler versicherte, dass die Polizei die Anhänger und Sympathisanten der Bewegung im Auge habe, im Hinblick auf Waffenbesitz prüfe und gegebenenfalls weitere Maßnahmen einleite. „Eine Beschlagnahme von Waffen wie in Witten hat es in Gelsenkirchen nicht gegeben“, so der Sprecher abschließend.

Schätzung: 4500 Reichsbürger gibt es bundesweit

Die Rheinische Post schätzte im Dezember 2016 auf Basis einer Umfrage unter den Landesämtern für Verfassungsschutz die Zahl der Reichsbürger deutschlandweit auf 4500 Personen, wobei Hessen und Sachsen keine Daten lieferten. Mehrere Bundesländer gehen davon aus, dass sich die bisher bekannte Anzahl noch erhöhen könne, weil die Reichsbürgerbewegung erst vor kurzem in allen Ländern beobachtet wird. In der Nachbarstadt Herne leben ebenfalls 15 Reichsbürger.