Nach dem Terroranschlag: Die Bürger wollen sich nicht einschüchtern lassen. Was sie zum Bummel über die Weihnachtsmärkte in Gelsenkirchen sagen.

  • In die Trauer über Tote und Verletzte mischt sich Trotz bei Händlern und Bürgern auf dem Weihnachtsmarkt
  • Der Tenor: Die Menschen wollen sich in ihrer Art zu leben von nichts und niemandem einschränken lassen
  • Stille Trauer: Eine Stunde bleibt die Weihnachtsbeleuchtung aus, auch sind verdeckte Ermittler unterwegs

Die Reaktionen nach dem Anschlag in Berlin fallen unterschiedlich aus. Viel Trotz ist zu spüren bei Händlern und Besuchern auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Neumarkt und auf der Bahnhofstraße. Tenor: Passieren kann jederzeit und überall etwas, sich dadurch einschränken lassen – auf keinen Fall! Schicksalsergebenheit ist ebenso zu finden wie auch Verunsicherung, die nach den blutigen Ereignissen von Paris, Nizza, München oder Würzburg stärker ins Bewusstsein der Menschen rückt.

Eine schwer bewaffnete Streife auf der Bahnhofstraße in der Innenstadt.
Eine schwer bewaffnete Streife auf der Bahnhofstraße in der Innenstadt. © Joachim Kleine-Büning

So etwa wie bei Elli Krenz, Verkäuferin aus Oberhausen. Sie steht vor St. Augustinus, ist „traurig nach dem „Anschlag“, von dem sie sich aber als Konsequenz „nicht einschließen lassen will“. Nach wie vor will sie Weihnachtsmärkte besuchen und die Atmosphäre genießen. Gleichwohl merkt Krenz an, dass sie sich dabei „nicht mehr so unbeschwert fühlt wie früher“.

Verkäuferin Elli Krenz geht in ihrer Freizeit nicht mehr so unbeschwert auf Weihnachtsmärkte.
Verkäuferin Elli Krenz geht in ihrer Freizeit nicht mehr so unbeschwert auf Weihnachtsmärkte. © Joachim Kleine-Büning

Die Gefahr ist allgegenwärtig

Jürgen Schmidts Gefühlswelt ficht die jüngsten Ereignisse nicht an. Der Gast aus Gladbeck lebt mit der Einstellung: „Morgen könnte mir ein Jumbo auf den Kopf stürzen. Will sagen: Passieren kann immer etwas, Angst habe ich deshalb keine“, gibt Schmidt zu Protokoll.

Nicht einschüchtern und in ihrer Freiheit einengen lassen will sich die Vierer-Runde, die sich bei einem Heißgetränk auf dem Neumarkt angeregt unterhält – Tim Asbrock, Günter Vogtmann, Bernd Preuß und Simone Paul, alles Gelsenkirchener. Berlin ist natürlich ein Thema. „Ich war vorhin eine Currywurst essen, da kam mir auf der Bahnhofstraße ein Lkw entgegen. Da hatte ich schon ein mulmiges Gefühl“, gibt Tim Asbrock zu. Doch zum Glück sei es nur ein Lieferant gewesen, der langsam gefahren sei. Asbrock macht ein Foto mit dem Handy, als drei Streifenpolizisten in Schutzwesten und mit Maschinenpistole vorbeigehen. Er sagt: „Es ist richtig, dass die Polizei Präsenz zeigt. Ich fühle mich so sicherer.“ Die anderen nicken zustimmend. Und Bernd Preuß fragt: „Was das an Überstunden kostet?“

Max Röber (70), erster Vorsitzender des Schaustellervereins Gelsenkirchen.
Max Röber (70), erster Vorsitzender des Schaustellervereins Gelsenkirchen. © Thomas Schmidtke

Art zu leben nicht kaputt machen lassen

Auch in Buer mag sich keiner der Befragten vom Bummel über den Weihnachtsmarkt abhalten lassen. „Ich gehe drüber und fertig. Das kann doch überall passieren“, denkt Gottfried Beer (79) nicht über mögliche Gefahren nach.

Seinen Süßwarenstand auf der Hochstraße aus Sorge vor Attentaten gar nicht mehr zu öffnen, ist für Max Röber (70), Vorsitzender des Schaustellervereins Gelsenkirchens, keine Option. „Wir wollen diese Tradition fortführen. Sie ist unsere Existenzgrundlage.“ So „abartig“ der aktuelle Anschlag auch sei: „Wir sollten uns unsere Art zu leben nicht kaputt machen lassen.“

Polizei operiert mit verdeckten Ermittlern 

Nach dem Anschlag in Berlin verstärkt die Polizei auf Geheiß des Innenministeriums ihre Präsenz. „Im Stadtgebiet wird an allen relevanten Orten sowohl verdeckt als auch erkennbar polizeiliche Aufklärung betrieben“, sagte Polizeisprecher Torsten Sziesze. Seit Montag seien doppelte Polizeistreifen auf den Weihnachtsmärkten mit Schutzwesten und Maschinenpistolen unterwegs. Zugleich betonte der Sprecher, dass Polizei und Verwaltung in einem engen Informationsaustausch mit allen Sicherheitsbehörden stünden. Im Hinblick auf Heiligabend gab die Polizei bekannt, dass sie keine konkreten Hinweise auf eine Gefährdung von Weihnachtsgottesdiensten habe.

Weihnachtslicht bleibt für stille Trauer aus

Zum Gedenken an die Opfer wurde am Dienstag von 17.30 bis 18.30 Uhr die Weihnachtsbeleuchtung ausgeschaltet. An der stillen Aktion beteiligten sich auch die Horster, Rotthauser und Erler Einkaufszentren sowie die ISG Domplatte und Hauptstraße, zudem die Sparkasse und das Bahnhofscenter.

Stimmen aus Gelsenkirchen 

OB Frank Baranowski (SPD): „Die Gelsenkirchener Bürger sind tief betroffen und stehen an der Seite der Menschen in Berlin. Wir können und wollen nach einem solchen feigen Anschlag nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, aber wir werden uns auch nicht unsere westlichen Werte und insbesondere unsere Freiheit nehmen lassen!“ Wolfgang Heinberg (Ratsvorsitzender der CDU): „Unser erster Gedanke gilt den getöteten und verletzten Menschen und ihren Angehörigen. Wir werden unsere Kultur und Lebensweise, die geprägt ist von Freiheit, Offenheit, Respekt, Dialog und Demokratie, nicht preisgeben. Fanatiker, Terroristen, Fundamentalisten oder Hassprediger gehören nicht zu uns.“ Josef Hülsdünker (DGB-Regionsgeschäftsführer): „Unser Mitgefühl gehört den Angehörigen. Die Täter zielen auf die kulturellen, sozialen, politischen Werte der Gesellschaft. Ihre Taten beeindrucken uns nicht. Wir werden uns von Terroristen nicht einschüchtern lassen. Und wir hoffen, dass die Behörden sie rasch dingfest machen, um sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen.“