Gelsenkirchen. Günter Wallraff besuchte die Wellpappe-Belegschaft vor den Toren des geschlossenen Werks. Der Enthüllungsjournalist will am Ball bleiben.

  • Günter Wallraff kritisiert, der Standort Gelsenkirchen sei bewusst vor die Wand gefahren worden
  • Mitarbeiter des geschlossenen Werks berichten dem Journalisten von unbezahlten Überstunden
  • Lob für die Haltung der Stadt, die hinter der Belegschaft steht und eine Resolution verabschiedet hat

„Es war mir nicht vergönnt, hier undercover zu arbeiten. Aber es geht mir sehr nahe.“ Günter Wallraff lässt sich Dienstagmorgen vor dem Werkstor von Wellpappe an der Grothusstraße von den Betroffenen live berichten. Der Enthüllungsjournalist ist empört. „Er hat bewusst versucht, den Laden vor die Wand zu fahren.“ Er, damit meint Wallraff den Boss, Dr. Wolfgang Palm.

Noch einmal kocht der Zorn bei den frierenden Mitarbeitern über den Knall-auf-Fall-Rauswurf der 100-köpfigen Belegschaft hoch. Wallraff versteht sie, ist aus Solidarität mit den Leuten hier. Was am Wellpappe-Standort Gelsenkirchen geschehen sei, „ist ein Unrecht, dass allenthalben bewusst ist“. Hier werde der „Herr im Haus-Standpunkt“ umgesetzt. „Die Leute haben Überstunden gemacht, um die Firma zu erhalten.“ Palm habe massiv investiert, „aber nicht hier“.

Erinnerungen an den Schock am 1. November

Hier sieht die Lage anders aus. Dienstag sogar im Wortsinn. „Seit heute Morgen sind die Absperrgitter weg“, sagt Betriebsratsmitglied Ramazan Yanik. Schon auffällig, ausgerechnet an dem Tag, als Günter Wallraff da ist ... Yanik ist 16 Jahre in der Firma. Ein anderer, langjähriger Wellpappe-Mann erzählt dem Gast aus Köln, wie er am Abend des 1. November einen Zettel an der Tür fand, er möge in den Briefkasten schauen. „Das war das Kündigungsschreiben drin.“ Andere haben es schon am 31. Oktober bekommen. Ein Mann ruft: „Das Dreisteste ist, der wollte in Monheim die dritte Schicht einführen.“ Sarkastischer Nachsatz: „Weil es so wenig Aufträge gibt.“

Für Wallraff ist klar, was der Geschäftsführer mit dieser Aktion bezwecken wollte: „Alles spricht dafür, dass er hier ein Exempel statuiert.“ Eine Warnung an die Mitarbeiter der anderen Werke der Palm-Gruppe, was passieren kann. Dabei, hat er recherchiert, hat jeder Mitarbeiter derart viele Überstunden gemacht, dass jeder mindestens 20 000 Euro allein dafür bekommen müsste.

Betriebsrat: „Wir sind widerruflich freigestellt worden“

Betriebsratsvorsitzender Bodo Steigleder erinnert: „Wir sind widerruflich freigestellt worden. Deshalb kriegen wir kein Arbeitslosengeld.“ Dass jetzt doch Geld fließt, verdanke die Belegschaft dem Einsatz von Oberbürgermeister Frank Baranowski. „Der hat sich bei der Arbeitsagentur für uns eingesetzt, sonst hätten wir drei Monate lang gar nichts bekommen.“

Die Haltung der Stadt in Sachen Wellpappe-Schließung, die einstimmige Resolution und die öffentliche Solidaritätsbekundung ist Wallraff bekannt. Er zollt der Stadt Anerkennung dafür, dass sie hinter der Belegschaft steht. Er selbst, kündigte der Kölner Journalist an, werde am Ball bleiben und sich dabei auch am Standort Aalen der Palm-Gruppe kundig machen.

Eine Bemerkung zieht Gelächter nach sich

Schließlich meint Günter Wallraff auf Nachfrage, was er von der im Gelsenkirchener Rat laut gewordenen Forderung nach Aberkennung des Bundesverdienstkreuzes für Palm hält: „Das sollte er behalten. Allerdings mit der Verpflichtung, es stets öffentlich zu tragen.“ Dafür gibt’s vielfaches Gelächter an Tag 34 der Mahnwache vor dem Werkstor.