Wie Familien mit Hartz IV leben: Ein Paar und eine Alleinerziehende berichten, wie sie über die Runden kommen. Von Nudeln mit Paniermehl, taktischen Krankheiten und dem Verzicht aufs Abendbrot
Kann man mit täglich 2,40 Euro bzw. dem vom Staat vorgesehenen Hartz-IV-Regelsatz ein Kind gesund ernähren? Die 51-Jährige (Name der Redaktion bekannt) kann dies - weil sie gelegentlich auf ihr Abendbrot verzichtet, sich am Monatsende Geld von der Freundin leiht, gebrauchte Textilien kauft, von der Tafel für ehrenamtliches Engagement Lebensmittel erhält . . .
Zwei Kinder hat die Alleinerziehende ALG-II-Empfängerin, einen 10-jährigen Sohn und eine 18-jährige Tochter. Beide gehen zum Gymnasium, für beide opfert die Mutter sich auf. Durch einen Mini-Job als pädagogische Mitarbeiterin in Bochum verdient sie sich sogar noch etwas dazu, aber: "Davon bleibt mir nach Abzug aller Kosten wenig über."
Auch in diesem Monat wird's wieder eng: "Den 29., 30. und 31. Oktober kann ich knicken." Für Extras wie Eis, Pizza, Süßes sei schon vorher kaum Geld da: "Mein Sohn fragt gar nicht mehr."
Die Ausbildung ihrer Kinder ist ihr lieb und teuer. Zu teuer: Auch deshalb, weil es laut Hartz IV kein Geld für die Einschulung, den Wechsel auf die weiterführende Schule etc. geben darf - und für einen Tagesausflug der Klasse schon gar nicht. "Dann muss das Kind in der Nacht vor dem Ausflug Bauchschmerzen bekommen . . .", sagt die 51-Jährige. Doch bei der Unterstützung des anstehenden Studiums der Tochter hilft auch die taktische Krankheit nicht.
Zumindest in dieser Hinsicht sind der 50-jährige ALG-II-Empfänger und seine Frau (47; Namen der Redaktion bekannt) aus dem Gröbsten raus. Nach dem Besuch der Gesamtschule hat ihr Sohn (18) eine Ausbildung begonnen.
Hartz IV trifft sie mit voller Härte. Auch sie haben versucht, ihren Sohn so wenig wie möglich Mangel leiden zu lassen: "Das war nicht einfach", sagen sie. Handy, Playstation, Markenklamotten - "in der Schule schaukelt sich das hoch". Mit runtergesetzten Artikeln oder Aldi-Angeboten habe sich der Sohn lange zufrieden gegeben.
Bei den Lebensmitteln kämpft die Familie den aussichtslosen Kampf gegen ständig steigende Kosten. Da helfe es auch nicht, dass sie der wöchentliche Einkauf nur in Discounter führe: "Wenn ich vor fünf Monaten 20 Euro bezahlt habe, so kosten die gleichen Lebensmittel heute 22 Euro", so der 50-Jährige. Wenn's am Monatsende mal ganz hart komme, müsse es eben "Omas Rezept" rausreißen: "Nudeln mit Paniermehl."
Strom, Mehrwertsteuer, Inflation - alles werde teurer, ohne dass sich dies in Regelsätzen niederschlage. Und auch dies habe der Gesetzgeber nicht vorgesehen: dass Kinder mehr als ein Paar Schuhe brauchen, dass Jugendliche einen höheren Kalorienbedarf haben, dass ein Fahrrad schnell mal zu klein wird . . .. Dann ist da ja noch die Praxisgebühr: "Man überlegt sich 20-mal, ob man zum Arzt gehen soll", so die 47-Jährige.
Selbstständig mit einem kleinen Geschäft war das Paar früher. Die alleinerziehende Mutter hat über 30 Jahre gearbeitet. Lieber heute als morgen würden sie den Lebensunterhalt wieder selbst bestreiten. Aber: "Das ist ein Teufelskreis", sagt sie, "man kommt da einfach nicht raus."