Am 8. September ist Weltalphabetisierungstag. Lesen und Schreiben standen auch in Gelsenkirchen im Fokus - und die, die es (noch) nicht können.
Die Welt ist grau. Traurig. Ein bisschen bedrohlich gar. Eine schwarze Gestalt versucht sich zum Himmel zu strecken. Denn dort oben, in den Ästen eines Baums, hängen die Buchstaben, die ihr Eintritt verschaffen können in eine bessere, bunte Welt.
Das Graffiti bringt es plakativ auf den Punkt: Wer nicht lesen und schreiben kann, dem bleiben viele Lebensbereiche verschlossen. Wie Analphabeten geholfen werden kann, stand im Mittelpunkt des gestrigen Weltalphabetisierungstages.
Um das Thema anschaulich zu machen, hat der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung, kurz a3, Graffitikünstler beauftragt, die Problematik darzustellen – auch, weil die verschnörkelte Sprayer-Schrift oft auch für Lesende schlecht zu entziffern ist. Zu sehen sind die Bilder zurzeit in der Stadtbibliothek und in der Buchhandlung Junius.
Über vier Millionen Menschen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben, sagt die Statistik. Für Gelsenkirchen bedeutet dies, dass etwa fünf Prozent der Gelsenkirchener zu den sogenannten funktionalen Analphabeten.
Einer von ihnen ist Halit Götze (29). Seit Anfang September nimmt er am Projekt „Lega” (Lebens- und Erwerbsweltbezogene Grundbildung im Rahmen von Aktiv-Jobs) bei RE/init teil. Zwei Tage pro Woche büffelt er an der Paulstraße Lesen und Schreiben, drei Tage wird er im Garten- und Landschaftsbau seine Qualifikation erweitern.
Viele Anläufe hat der ehemalige Sonderschüler bereits unternommen, endlich zu den Lesenden und Schreibenden zu gehören. „In der Schule haben uns die Lehrer irgendwann einfach aufgegeben”, erzählt er. Später versuchte er es bei der Volkshochschule mit einem Alphabetisierungskurs. „Jetzt kann ich schon lesen, nur schreiben kann ich noch nicht.” Das Lernen falle ihm schwer. Und doch will er unbedingt weitermachen. „Man kann ja noch nicht mal eine SMS schreiben. Man ist einfach ausgeschlossen.”
Dass er sich trotz aller Schwierigkeiten nicht aufgegeben hat, und einmal mehr von vorne anfängt, daran hat sein kleiner Sohn großen Anteil. „Ich möchte ja nicht, dass er so wird wie ich – ich will ihm auch bei den Hausaufgaben helfen, und ihm aus Büchern vorlesen”, sagt er.
Helfen will ihm dabei seine Lehrerin Heidrun Schumacher. Die ehemalige Grundschullehrerin hat schon mehrere Alphabetisierungskurse betreut. „Es ist eine Frage der Motivation”, sagt sie. Wichtig sei es, den Schülern Zeit zu lassen, in Ruhe lesen und schreiben zu lernen.
Da stimmt auch Oberbürgermeister Frank Baranowski zu. Der ehemalige Deutschlehrer sagt: „Ich weiß, was das, was geschrieben steht, einem eröffnen kann.” Bald wird