"Menschenverachtung mit Unterhaltungswert": Verfassungsschutz-Mitarbeiter vermittelte in der NS-Dokustätte tiefe Einblicke über das modernisierte Erscheinungsbild von Rechtsextremisten
3. Oktober 2007?, Tag der Deutschen Einheit - ein Häuflein NPD-Demonstranten läuft über Buers Straßen. "Rein äußerlich könnten das auch Linke sein", staunt ein Passant an der Freiheit Buer.
Thomas Pfeiffer weiß: Das ist kein Zufall. Am Mittwochabend referierte der Rechtsextremismus-Experte und Mitarbeiter des NRW-Verfassungsschutzes auf Einladung des Instituts für Stadtgeschichte in der Erler Dokustätte "Gelsenkirchen im Nationalsozialismus". Unter dem Motto "Menschenverachtung mit Unterhaltungswert - Der Rechtsextremismus als Erlebniswelt" vermittelte er aber nicht nur in Sachen "Outfit" Einblicke in die Strukturen.
Seine Hauptthese: Die Inhalte dieser Szene hätten sich nicht wesentlich geändert, das äußere Erscheinungsbild und die Aktionsformen aber sehr wohl. "Das ist altes Denken in neuem Gewand", so Pfeiffer. Der Strategiewechsel sei nicht zuletzt der neuen Hauptzielgruppe geschuldet: Jugendliche und junge Menschen.
Trendige Internet-Auftritte und Freizeit- und Erlebnisangeboten (Konzerte etc.) würden als Lockangebote eingesetzt. Beim Outfit seien Gruppen wie die "Autonomen Nationalisten" häufig nicht von Linken zu unterscheiden. Das gelte auch für Inhalte: Hartz IV und die soziale Frage würden zunehmend thematisiert.
Das Eindringen in den Jugend-Alltag sei das Ziel. Durchs Verteilen von CDs vor Schulen versuchten die NPD ("die zurzeit führende Kraft in der Szene") und Neonazi-Kameradschaften dies zu erreichen. Mit Hör- und Textbeispielen sowie Fotos und Filmen untermauerte Pfeiffer diese und andere Thesen. Die anschließende Diskussion mit den (zahlreichen) Besuchern entzündete sich an der Frage, wie sich die Demokratie zur Wehr setzen soll. Ein Ansatz: die Prävention. "Ich werbe dafür, dieses Thema stärker als bisher im Unterricht aufzugreifen", so Pfeiffer. Auch bei vielen Eltern gebe es Wissenslücken über Neonazi-Codes (88 als Synonym für "Heil Hitler" etc.), so ein Besucher. Ein weiterer Ansatz: Mit dem Schließen von Einrichtungen treibe der Staat Jugendliche in die Arme der ewig Gestrigen.
Beim Reizthema NPD-Verbot gingen die Ansichten auseinander. Verfassungsschutz-Mann Pfeiffer lehnt es ab: "Ich habe Zweifel, ob wir mit Repression der Entwicklung Herr werden." Im Falle eines (möglichen) Scheiterns vorm Bundesverfassungsgericht wäre das für die NPD "ein Propaganda-Triumph erster Güte".
Um "HipHop in neuem Gewand - Erklärungssätze und Gegenstrategien zu rechten Orientierungen in einer Jugendkultur" geht es am 27. Februar in der NS-Dokumentationsstätte. Referent: Jörg Uwe Nieland (Uni Bochum).