An seinem 65. Geburtstag wird Jochen Dohm am Sonntag in den Ruhestand treten. Als „Schalke-Pfarrer” geht sein Bekanntheitsgrad weit über die 7000-köpfige Gemeinde hinaus.

Dünn ist er geworden, der Abrisskalender, den der Sohn ihm vor einem Jahr schenkte. 366 Blättchen war er einst dick. Nun verdeckt noch ein einziges Papier den 28. September. „Das war's!” wird in Großbuchstaben darauf zu lesen sein. Es ist der Tag, an dem Jochen Dohm 65 Jahre alt wird. Und damit auch der Tag, an dem Dohm seinen Abschiedsgottesdienst in der Gnadenkirche in Schalke halten wird.

Fünf Wochen hat er an seiner letzten Predigt gearbeitet. Hat an Worten und Sätzen gefeilt, um diesem besonderen Moment Ausdruck zu verleihen. „Das war gar nicht so einfach. Normalerweise arbeite ich rund acht Stunden an einer Predigt”, sagt der Kirchenmann, dessen Bekanntheitsgrad weit über seine 7000-köpfige Gemeinde hinausgeht. Denn Hans-Joachim Dohm, den alle nur Jochen nennen, wird bundesweit auch als „Schalke-Pfarrer” bezeichnet, seit er die 2001 in der Arena eingeweihte Kapelle mit seinem katholischen Kollegen Georg Rücker betreut. „Schalke hat mein Leben nicht verändert. Schalke hat es weiter entwickelt”, sagt Dohm.

Dabei ist es nicht einmal übertrieben: Ein Leben ohne Schalke 04 ist in seiner Gemeinde schwer vorstellbar. Die legendäre Glückauf-Kampfbahn ist nur einen Steinwurf entfernt, an Spieltagen versammeln sich die Anwohner im Stadion oder den umliegenden Fankneipen. „Wenn sie hier nicht Schalker sind, gehören sie nicht dazu”, sagt Dohm mit einem Lachen.

So war auch der junge Pfarrer Dohm anfangs wohl ein wenig fremd in seiner neuen Heimat. In Wattenscheid aufgewachsen kickte er einst auf dem Hinterhof und fieberte mit der SG 09. 1973 kam er nach dem Theologiestudium in die Schalker Gemeinde und lange dauerte es dann doch nicht, bis auch er mit den Königsblauen fieberte. Verantwortlich dafür war ein Gemeindemitglied. Ein gewisser Ernst Kuzorra, der bald ein Freund wurde. Dohm trat schließlich dem Verein bei, gehörte zu den Dauerkartenbesitzern. Doch sein Amt und den Verein – das wollte er nie miteinander vermischen. Auch wenn im Umfeld oft vom Fußballgott gesprochen wird, ein Sieg als Erlösung gefeiert und Schalke mitunter gar als Religion bezeichnet wird. „Schalke kann mich nicht erlösen, mir keine Sinnhaftigkeit im Leben geben. Das kann kein Fußballverein der Welt. Der Fußball wäre eine recht flache Religion”, sagt Dohm. „Ich würde auch nie für einen Schalker Sieg beten. Denn dann müsste ich das ja gleichzeitig für die Niederlage des Gegners tun.”

Das zweite Zuhause: Jochen Dohm in der Kapelle in der Schalker Arena. Foto: WAZ, Thomas Schild
Das zweite Zuhause: Jochen Dohm in der Kapelle in der Schalker Arena. Foto: WAZ, Thomas Schild © WAZ

Alleine 600 Taufen hat Dohm in der Arena-Kapelle durchgeführt, aber „ich taufe keine Kinder in Schalke-Kleidung. Die Kapelle in der Arena gehört zur Kirche und ist keine Vereinskapelle. Und so ist auch die Taufe ein Bekenntnis zu Gott – nicht zu Schalke.”

Glückliche Momente gab es viele im beruflichen Leben des Jochen Dohm. Die fröhlichen Gemeindefeste. Die große Familienfreizeit in Finnland („Ein Traum”), die Fertigstellung des Gemeindehauses vor knapp zehn Jahren. Doch auch dunkle Momente ließen sich nicht vermeiden. Beerdigungen nach schweren Verkehrsunfällen, nach qualvollen Krankheiten. Und auch die Insolvenz des kirchlichen Bildungsträgers GABS, bei der Dohm als Aufsichtsratvorsitzender viel Kritik einstecken musste („Eines meiner traurigsten Weihnachtsfeste”).

Schalke wird Jochen Dohm treu bleiben. Als Behinderten-Beauftragter organisiert er den Transport von Gehbehinderten, koordiniert den Einsatz von Blinden-Reportern und verteilt die begehrten Eintrittskarten für Behinderte. Auch seine Gemeinde wird den Pensionär nicht aus den Augen verlieren. Dem Posaunenchor will er treu bleiben, den Gottesdienst regelmäßig besuchen. Dohm: „Pfarrer kommen und Pfarrer gehen – die Gemeinde aber bleibt.”