Gelsenkirchen. Im Jahr des Reformationsjubiläums sucht die evangelische Kirche die Öffentlichkeit und den Diskurs. Am Ende steht das Projekt „Erleuchtet“.

  • Impulse liefern will der Evangelische Kirchenkreis im Jubiläumsjahr der Reformation
  • Zum Auftakt gibt es einen beseonderen Gottesdienst mit der Präses in der Altstadtkirche
  • Superintendent Montanus spricht mit der WAZ über Glauben, Freiheit und sein neues Amt

„Wir sind so frei“ – der Satz steht programmatisch für den Festempfang, mit dem der Evangelische Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid Mittwoch im Hans-Sachs-Haus auch zum Auftakt von 500 Jahren Reformation Akzente setzen will.

Er steht aber auch für evangelisches Verständnis von Freiheit im Denken, im Glauben, in der Verantwortung. Und er steht für das, was Luther und die Reformation auch 500 Jahre nach dem Thesen-Anschlag an der Wittenberger Kirchenpforte heute noch bedeuten.

„Wir wollen deutlich machen: Reformation ist keine innerkirchliche Veranstaltung. Deshalb haben wir den Weg bewusst nach draußen gewählt und den Ort gewechselt. Wir wollen Öffentlichkeit in vielen Bereichen neu erobern. Das wird sich so über das ganze Jahr bis zum Reformationstag 2017 durchziehen“, sagt Superintendent Heiner Montanus.

Der Kirchenkreis feiert den Beginn des neuen Kirchenjahrs

Sonst feiert der Kirchenkreis den Beginn des neuen Kirchenjahrs stets im Gemeindehaus Robert-Koch-Straße, diesmal im Rathaus. „Reformatorische Beiträge zu unserer Geschichte und Gesellschaft sind mit den Jahrhunderten selbstverständlich geworden“, findet Montanus, „aber wir wollen helfen, sie neu zu entdecken“ – sei es im Bildungssystem, in der Politik, im sozialen Engagement. Angestoßen durch die theologische Sicht der Reformatoren, besonders natürlich Luthers, haben sich ab dem 16 Jahrhundert Glauben und Gesellschaftsbild gewandelt. „Menschen wurde zugetraut und zugemutet, für sich selbst zu sprechen und für sich selbst ein Urteil zu fällen. Die Leute sind in ihren Glaubensdingen angekommen“, beschreibt Montanus die Veränderungen, die sich mit der Reformation Bahn brachen und heute so selbstverständlich wirken.

Zeichen an zehn Kirchtürmen am Reformationstag 2017

Die nächsten Monate sollen keine kirchliche Einbahnstraße sein. Montanus: „Wir wollen aktiv den Diskurs führen. Wir wollen von den Menschen hören: Was bedeutet für euch Glauben, was bedeutet für euch, dass ihr Christen seid?“ Oder eben auch nicht. „Wir sind weg von dem wir wissen es und wir wissen es besser hin zum: Wir brauchen euch.“

In einer zunehmend profanen westlichen Welt gilt es für Montanus auch zu „entdecken, wie viele Themen im Alltag einen religiösen Anteil haben. Es wird eine Herausforderung für Kirche, diese religiösen Elemente im Alltäglichen anzusprechen und zu entdecken“. Die großen Themen wie Geburt und Tod seien da naheliegend, aber auch eben Arbeitslosigkeit, Verlust, Krankheit, eben Situationen in denen sich Menschen fragten: „Wer liebt mich in Zeiten, wo ich für mich sage, dass kann doch jetzt alles nicht wahr sein?“

In der letzten Dekade haben sich evangelische Christen auf das Reformationsjubiläum vorbereitet. Aus dem Kirchenkreis erwartet er noch viele Impulse, die das bisherige Jahresprogramm bereichern werden. „Die Gemeinden sind sehr kreativ, das formt sich jeden Tag weiter. Wir sind schon lange dabei, uns warm zu laufen“, sagt der Superintendent. Das gilt für Bild und Wort, für die Kirchenmusik, für Mission und gelebte Ökumene, das gilt auch für ein großes Projekt zum Finale. Am Reformationstag 2017 wird das Projekt „Erleuchtet“ für einen Abend an zehn Kirchtürmen im Kirchenkreis und über 50 im Ruhrgebiet sichtbar werden – wofür evangelische Christen stehen, wird dann auf den angestrahlten Wänden zu sehen sein.

Ein besonderer Gottesdienst in der Evangelischen Altstadtkirche

„Einfach frei“ – das Leitmotiv für das Reformationsjahr und den 31. Oktober 2017 als einmaligen Feiertag gilt bereits am Mittwoch, 30. November: „Einfach frei“ steht dann als Motto für den Festgottesdienst in der Evangelischen Altstadtkirche (Heinrich-König-Platz), mit dem der Kirchenkreis Gelsenkirchen/Wattenscheid um 18 Uhr den Auftakt zu „500 Jahre Reformation“ feiert. Die Predigt hält Annette Kurschuss, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Der Auftakt wird auch akustisch außergewöhnlich. Bläser werden unter den Arkaden der Kirche spielen, „auch um den öffentlichen Charakter“ des Gottsdienstes und des besonderen Anlasses deutlich zu machen, so Superintendent Heiner Montanus. Mitwirken werden auch Michael Gees (Klavier) und der Schauspieler Wolfram Boelzle sowie Emscherblech.

Amtswechsel nach zwölf Jahren Anfang September

Nach zwölf Jahren im Amt verabschiedete sich Rüdiger Höcker Ende August 2016 als leitender Pfarrer des Evangelischen Kirchenkreises in den Ruhestand.

© Martin Möller

Von der Kreissynode, dem höchsten Entscheidungsgremium im Kirchenkreis, wurde bereits im April der 53-Jährige Heiner Montanus zu seinem Nachfolger gewählt. In Dortmund hat Montanus zuletzt gearbeitet, aus der Stadt pendelt er täglich ein, bis er in wenigen Wochen seine Superintendentenwohnung in Erle beziehen wird.

„Mir macht die Arbeit hier richtig Spaß, sie ist sehr vielfältig. Ich erlebe sie pastoral im guten Sinn“, sagt der Pfarrer. Kennenlernen steht für Montanus vor allem noch auf dem Programm. „Ich muss sehen, wo die Leute leben und arbeiten. Dafür reicht nicht der Blick aus dem Fenster.“ Als kommunikativ bezeichnet sich Montanus selbst, Kommunikation und Vernetzung sind ihm auch im Kirchenkreis „ein vorrangiges Anliegen“, auch weil er „Kommunikation als Hilfsmittel gegen Vereinsamung“ sieht.

Mitgliederzahlen und der Mitgliederschwund unterscheiden uns

Die Kolleginnen und Kollegen in den Pfarrämtern hat er als Seelsorger „mit viel Ausdauer, mit Liebe zu den Menschen, mit kreativen Ideen, aber auch häufig mit Widerständigkeit, mit der Faust in der Tasche“ kennengelernt. Gelsenkirchen als Stadt der Gegensätze, der sozialen Verwerfungen – auch in den Pfarrämtern ist das spürbar. Auch das hat Montanus in den ersten Monaten selbst erfahren. „Es fällt auf, dass die Bevölkerung hier anders zusammengesetzt ist. Das sieht man an den Menschen und an den Häusern. Auch die Mitgliederzahlen und der Mitgliederschwund unterscheiden uns von anderen Städten deutlich“, sagt Montanus.

Die Veränderung ist die Konstante

Kirche unterliegt einem Konzentrationsprozess, die Veränderung ist die Konstante. Gebäude werden aufgegeben, Dienste zusammen geführt. 88 000 Gemeindeglieder hat der Kirchenkreis noch. Montanus sieht dennoch nicht die Defizite, sondern die Chancen: „Wir werden reicher dadurch, dass andere dazu kommen. Nicht unbedingt finanziell, sondern an Angeboten. Wir verbreitern unser Spektrum.“

Pfingsten 2017 werden vier Wattenscheider Gemeinden zu einer vereinigt. Mit dann sieben Pfarrstellen, 18 000 Gemeindegliedern und einem Presbyterium. Das als neu gewonnene Stärke zu sehen, empfiehlt sich für Montanus: „Wir brauchen die anderen, wir brauchen die Gemeinschaft.“