Gelsenkirchen. WAZ-Medizinforum im Bergmannsheil beleuchtete das Thema Kunstgelenke. Die Chefärzte Dr. Friedrich Kutscha-Lissberg und Dr. Daniel Bücheler referierten.

„Neue Erkenntnisse rund um das Kunstgelenk“ vermittelte am Mittwoch das WAZ-Medizinforum im Bergmannsheil in Buer. Dr. Friedrich Kutscha-Lissberg, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, und Dr. Daniel Bücheler, Chefarzt der orthopädischen Rehaklinik am Berger See, zeichneten dafür verantwortlich.

Das Ärzte-Gespann informierte nicht nur, sondern bescherte den zahlreichen Gästen mit eloquenten Vorträgen einen unterhaltsamen Abend. Den Anfang machte Friedrich Kutscha-Lissberg. Er führte zunächst ins Thema ein, erklärte die Arthrose.

Wenn es im Gelenk nicht mehr rund läuft

Hier sei ein Knorpelschwund zu beobachten. „Die Knochen sind mit dem Knorpel überzogen. Das ist wie bei der Bremse der Bremsbelag.“ Die Ursache für den Schwund ist in den meisten Fällen angeboren. Unfälle, Fehlbelastungen oder Krankheiten seien weniger häufige Ursachen. Knorpel hat keine Nerven. Doch was tut dann weh? Einfache Antwort: Es läuft nicht rund im Gelenk. Die Reibung der Knochen aufeinander verursacht Schwellungen, Flüssigkeitsansammlungen im Gelenk und zuletzt Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. Die verursacht der Körper selbst. Er versteift die betroffenen Gelenke, erklärte der Mediziner. Nach dem Rezept: „Wenn das Gelenk nicht bewegt wird, dann tut es auch nicht mehr weh.“

Bewegungseinschränkung drängen eher zum operativen Eingriff

Die Frage, wann eine Operation ratsam ist, sei individuell zu treffen, erklärte Kutscha-Lissberg. Sie sei von der Intensität der Scherzen abhängig. „Da können wir sie nur beraten. Aber eines müssen sie wissen, mal eben so ein neues Gelenk abholen, das geht nicht.“ Bewegungseinschränkungen drängen eher zum operativen Eingriff. Sie nämlich können Folgeschäden an anderen Stellen verursachen. Zu jung oder auch zu alt könne man nicht sein für eine solche OP. Bleibt die Material-Frage. „Metall auf Metall macht man nicht mehr, da der Abrieb ins Blut geht und Probleme bereitet. Wir verwenden Kunststoff und Keramik.“ Das Kunstgelenk an der Hüfte werde im Bergmannsheil niemals zementiert. „Damit kann man den Knochen kaputt machen. Jeder, der mal die Fliesen im Bad abgeschlagen hat weiß, wie mühselig das ist.“

Dem Krankenhausaufenthalt folgt die Reha

Nach einer Vorlaufzeit von sechs bis acht Wochen erfolge der Eingriff. Nach diesem bleibt der Patient zehn bis 14 Tage im Krankenhaus. „In dieser Zeit machen wir sie fit im Zimmer. Dann kommen sie in die Reha. Und dann ist Schluss mit Lustig“, scherzte der Chefarzt. „Bei uns haben sie das Frühstück noch ans Bett bekommen. Damit ist es dann vorbei.“

Dr. Daniel Bücheler, Chefarzt der Orthopädischen Reha-Klinik am Berger See in Gelsenkirchen.
Dr. Daniel Bücheler, Chefarzt der Orthopädischen Reha-Klinik am Berger See in Gelsenkirchen. © Martin Möller

Nach dieser Überleitung bestätigte Daniel Bücheler: „So ist es. Bei uns heißt es, wir machen fit für Olympia.“ Und das in der am besten ausgelasteten Reha Deutschlands in direkter Nähe zu einem Akuthaus, das bei jeglichen Komplikationen Anlaufstelle ist und dessen Operateure ihre Patienten so noch im Blick haben. Ein ganz neues Konzept: „Das ist ein Novum – und eine Win-Win-Situation für Patienten und Operateure.“

„Mit der Operation ist nicht alles erledigt“

Auch wenn die Operation noch so gut gelaufen ist, in der Reha wartet richtig Arbeit auf Ärzte, Therapeuten und Pflegepersonal. „Mit der OP ist nicht alles erledigt. Oft verbleiben funktionelle Defizite im Bereich der Muskulatur. Was da nicht benutzt wird, schmilzt wie Butter in der Sonne.“ Zudem können Lymphabflussprobleme und Koordinationsstörungen verbleiben. „Man hat das richtige Laufen durch Schonhaltungen verlernt. Es braucht dann 160 000 Wiederholungen, bis das Kleinhirn das neue Laufbild gelernt hat.“ Grundsätzlich riet der Mediziner zu einer stationären Reha nach dem Einsatz eines Kunstgelenkes – vor allem (Haus-)Frauen. Deren Belastung im Alltag sei einfach zu groß, um sich allein auf die Heilung konzentrieren zu können. Das aber müsse man. „Für uns ist der Patient ein Partner auf Augenhöhe.“

Schwimmen, Radfahren und Nordic Walking sind geeignete Sportarten

Viele interessante Informationen erhielten die Besucher auch im anschließenden Gespräch mit den Ärzten. Die rieten auch vor einem operativen Eingriff zu leichter sportlicher Betätigung. „Je fitter der Patient in die Operation hinein geht, desto schneller ist er auch wieder fit.“ Besonders geeignet, so Dr. Daniel Bücheler, seien Sportarten wie Schwimmen, Radfahren und Nordic Walking. Überraschen konnte Dr. Friedrich Kutscha-Lissberg dann gleich zweimal. Zunächst stellte er auf Nachfrage aus den Zuhörerreihen den Sinn von Individualprothesen in Frage – also solcher Implantate, die speziell für den Patienten angefertigt werden. Die seien beliebt gewesen, weil sie günstiger schienen, würden doch zum Kunstgelenk auch die OP-Instrumente mitgeliefert.

Schmerzsalben dringen laut Experten gar nicht bis zum Gelenk durch

Allerdings, so der Mediziner: „Es hat sich heraus gestellt, dass diese weder billiger sind noch besser für den Patienten. Da muss man unterscheiden zwischen Nutzen und Marketing.“ Am meisten aber beeindruckte Kutscha-Lissberg mit seiner Aussage zu handelsüblichen Schmerzsalben, zu denen wahrscheinlich jeder schon einmal gegriffen hat. Sie dringen, so der Mediziner, gar nicht bis zum Gelenk durch.

Verteufeln wollte er sie jedoch nicht: „Erstens muss man dran glauben, das ist immer wichtig. Zweitens tut es gut, massiert oder gestreichelt zu werden. Und irgendwem hilft es sicher.“