Gelsenkirchen. . Die Sterblichkeitsquote von Babys im letzten Jahr blieb im NRW-Vergleich hoch. Elf Kinder starben noch vor dem ersten Lebensjahr.

  • Elf Kinder starben 2015 auf Gelsenkirchener Boden im ersten Lebensjahr am Plötzlichen Säuglingstod
  • Ein Großteil von ihnen verstarb in Folge einer Frühgeburt
  • 2014 starben 14 Babys im ersten Lebensjahr, 2013 waren es sogar 16

Die gute Nachricht zuerst: Die Säuglingssterblichkeitsquote in Gelsenkirchen ist im Jahre 2015 leicht gesunken – und kein einziges Baby in der Stadt starb am sogenannten Plötzlichen Säuglingstod (SIDS). Die weniger gute Nachricht ist jedoch, dass die Sterblichkeitsquote von Kindern im Säuglingsalter mit 4,1 von 1000 Kindern im NRW-weiten Vergleich immer noch relativ hoch ist.

Elf Kinder starben nach Berechnungen der Landesstatistikstelle IT.NRW im Jahr 2015 auf Gelsenkirchener Boden im ersten Lebensjahr. Ein Großteil von ihnen verstarb in Folge einer Frühgeburt, wie eine Analyse der Todesbescheinigungen durch den Kinder- und Jugendmedizinischen Dienst des Referates Gesundheit ergab.

Stabile Zahlen

Zum Vergleich: Im Vorjahr starben 14 Babys im ersten Lebensjahr, im Jahr 2013 waren es sogar 16.

Blickt man auf einen längeren Zeitzyklus zurück, so zeigt sich, dass sich die Säuglingssterblichkeit in der Stadt Gelsenkirchen in den vergangenen zehn Jahren stabilisieren konnte. 2007 hatte die Gesundheitskonferenz der Stadt, ein Netzwerk, bei dem sich Ärzte, Krankenhäuser und städtische Gesundheitseinrichtungen zusammengeschlossen haben, ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlossen und die Aktion „GEsunder Start ins Leben“ gegründet.

Hierbei arbeiten Hebammen, Schwangerschaftsberatungsstellen, Familienzentren, Frauen- und Kinderärzte, die Referate Erziehung und Bildung sowie die „Gemeinsame Elterninitiative Plötzlicher Kindstod e.V.“ eng zusammen, um die Gesundheit von Mutter und Kind in jeder Lebensphase der ersten Jahre zu verbessern.

Augenmerk auf Suchtprobleme

Ein ganz besonderes Augenmerk wird dabei auf Familien gelegt, in denen Suchtprobleme, soziale Not oder ein Migrationshintergrund eine Rolle spielen. Ihre Zahl ist in Gelsenkirchen im bundesweiten Vergleich besonders hoch. Deshalb besuchen nicht nur vier „Familienhebammen“ der Stadt Frauen mit besonderen psychosozialen und gesundheitlichen Risiken, auch das Projekt „Mit Migranten für Migranten“ (MiMi) ist eingebunden -- und achtet darauf, dass Frauen, die in anderen Kulturkreisen aufgewachsen sind (und der deutschen Sprache vielleicht noch gar nicht mächtig sind) über die gesundheitsrelevanten Themen informiert werden. „Es überleben sicherlich auch mehr frühgeborene Babys als Früher das erste Lebensjahr, weil Gelsenkirchen inzwischen sehr gut ausgestattet ist mit Perinatalzentren. So ist eine optimale Versorgung nach der Geburt für die Babys gesichert. Und auch die Versorgung von Müttern, bei denen es zu einer Frühgeburt kommt, ist deutlich besser geworden im Verlauf der Jahre. So können wir, wenn eine Frühgeburt droht und die Mutter rechtzeitig ärztlich betreut wird, Lungenreifespritzen geben. Das erhöht die Überlebenschancen der Babys enorm“, sagt Dr. Joachim Neuerburg, Chefarzt der Klinik für Geburtshilfe an den Evangelischen Kliniken in Gelsenkirchen.

Eine Hebamme hört mit einem CTG die Herztöne eines Babys einer Schwangeren, die in der 25. Woche ist, ab.
Eine Hebamme hört mit einem CTG die Herztöne eines Babys einer Schwangeren, die in der 25. Woche ist, ab. © Uli Deck

Auch die Ausweitung des Schwangerschaft-Diabetes-Screening auf alle werdenden Mütter zeige Wirkung, ist Neuerburg überzeugt.

Schutz vor dem Ersticken

Ein weiterer Baustein im Kampf gegen den Plötzlichen Kindstod ist die 2009 initiierte Aktion „Jedem Baby einen Schlafsack“: Um das Baby in den ersten beiden Jahren vor einem Erstickungstod zu schützen, raten Ärzte zur Verwendung von Schlafsäcken, die nicht über das Gesicht rutschen können.

In Gelsenkirchen erhalten alle Eltern bei der Entlassung aus der Geburtsklinik einen Babyschlafsack als Geschenk. Die Maßnahme konnte durch eine großzügige Spende der Sparkasse Gelsenkirchen initiiert werden und wird inzwischen von den Gelsenkirchener Geburtskliniken finanziert und fortgeführt.

Zertifizierte Kliniken in Gelsenkirchen

Bereits seit dem Sommer 2012 ist die Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Marienhospitals in Ückendorf zusammen mit der Klinik für Neonatologie, Kinder- und Jugendmedizin als Perinatalzentrum Stufe I von der Ärztekammer Westfalen-Lippe zertifiziert und anerkannt. Kürzlich erst gab es den Feststellungsbescheid der Bezirksregierung Münster für die festgeschriebene Zuordnung von sieben der 16 Kinderintensivbetten für das Perinatalzentrum am Marienhospital. Auch die Kinder- und Jugendklinik in Buer verfügt über ein Perinatalzentrum.

Ein Kommentar von Anne Bolsmann: Überdurchschnittlich engagiert 

Im NRW-Vergleich wachsen überdurchschnittlich viele Kinder in Gelsenkirchen in armen Verhältnissen auf, werden vernachlässigt – oder sind schon in der Schwangerschaft Drogen, Zigarettenrauch und Alkohol ausgesetzt. Das sind denkbar schlechte Startbedingungen und erklärt die erhöhte Zahl der Frühgeburten in dieser Stadt.

Doch Gelsenkirchen hat aus den schlechten Statistikwerten gelernt und steuert überdurchschnittlich engagiert dagegen an: mit engmaschiger Betreuung, die gezielt auf einzelne Gruppen zugeschnitten wird. Und mit sehr fein justierten Netzwerken rund um die Gesundheit, in denen Gynäkologen, Kinderärzte und Hebammen eng zusammen arbeiten.

Beispiellos ist es, den Neugeborenen kostenlos Babyschlafsäcke zu spendieren. Die Statistik zeigt, dass diese Mühe Früchte trägt. Zwar lassen sich nur erste, zarte Pflänzchen ablesen. Aber jedes Baby, das trotz eines schwierigen Starts überlebt, ist ein Gewinn – so kann das Aktionsprogramm „GEsunder Start ins Leben“ durchaus als Erfolg gefeiert werden.