Gelsenkirchen. . Vor der Betriebsversammlung wartet die Belegschaft von Wellpappe Gelsenkirchen am Werkstor. Im Zelt kann sie sich wärmen. Auch für die Nachtwache.
Freitag, 10 Uhr, Novembergrau, Nieselregen: Vor dem Absperrgitter steht eine größere Menschentraube, wartet auf die Kontrolle und auf Einlass.
Eigentlich sollte die diese Woche vor dem Arbeitsgericht Gelsenkirchen juristisch durchgesetzte Betriebsversammlung für die auf Widerruf freigestellte Belegschaft der Wellpappe Gelsenkirchen zu diesem Zeitpunkt schon begonnen haben. Doch es zieht sich. Die 60, 70 Männer, die vor dem Werkstor noch warten müssen, sind geduldig. Seit sie am 31. Oktober per Brief vom Aus ihres Werks und dem Insolvenzantrag erfuhren, haben sie buchstäblich schon mehr durchgestanden. Seitdem läuft rund um die Uhr die Mahnwache an der Grothusstraße 90a.
„So lange die Insolvenz nicht eröffnet ist, bleiben wir hier stehen. Ist ja sonst unsere Insolvenzmasse, die flöten geht“, sagt einer der Männer. Das Misstrauen, dass Werte aus dem Werk geschafft werden könnten, ist nach wie vor groß – auch wenn die Anwälte des Unternehmens Mittwoch vor dem Arbeitsgericht zusagten, dass keine Maschinen, keine Waren abtransportiert würden.
Im Wendehammer steht mittlerweile ein weißes Pavillonzelt
Im Wendehammer vor dem abgesperrten Werk, das nach wie vor von einem Wachdienst abgeriegelt wird, steht mittlerweile ein weißes Pavillonzelt. Die Gelsenkirchener Linke hat es vorbei gebracht und vor einigen Tagen mit den Wellpappe-Mitarbeitern aufgebaut. Innen bullert ein Gasbrenner, mehrere Biertischgarnituren bieten Platz. Brötchen und Obst, Zuckersticks, ein paar hartgekochte Eier und Becher stehen auf den Tischen. Und kannenweise Kaffee, Kaffee, Kaffee.
Die Einsatzpläne für die Mahnwache liegen als Listen auf dem Tisch. „Vier Leute sollen jede Nacht mindestens hier sein“, sagt einer der Männer im Zelt. „Doch manchmal sind es zehn und mehr. Man kommt eben mal so vorbei. Und wer nachts nicht schlafen kann, wird hier getröstet.“
Ende der Woche zwei nach der Hiobsbotschaft
Die Zukunftssorgen sind auch am Ende der Woche zwei nach der Hiobsbotschaft nicht geringer geworden. Immerhin: Das ausstehende Oktobergehalt, das der Palm-Konzern nicht mehr gezahlt hatte und wohl auch nicht zusammen mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter Rolf Weidmann anweisen wollte, ist jetzt auf den Konten. Nach Intervention der Stadt und Weidmanns hat die Agentur für Arbeit Gelsenkirchen die Vorfinanzierung übernommen. Auch für November und Dezember würde sie wohl einspringen, sollte sich keine andere Lösung finden.
Am Werkstor rücken die Männer derweil in Zehnergruppen vor. Der Einlass zur Betriebsversammlung wird kontrolliert. Ein Vertreter des Insolvenzanwalts und der Betriebsratsvorsitzende Bodo Steigleder sind schon im Gebäude. Von der Geschäftsführung, so haben es die Männer draußen gehört, werde sich wohl niemand blicken lassen. „Sie waren eingeladen.“ Doch Dr. Palm, heißt es in der Runde, habe mitgeteilt, dass der Termin zu kurzfristig für ihn oder einen Vertreter gewesen sei. „Auf gut Deutsch: Die haben keinen Mumm“, meint einer der Männer in der Warteschlange.
„Alles steht ja noch unter Vorbehalt, alles ist mit Fragezeichen versehen“
Was sie von der Betriebsversammlung und den nächsten Tagen erwarten? Schulterzucken. „Alles steht ja noch unter Vorbehalt, alles ist mit Fragezeichen versehen“, meint Andre Lopez. 27 Jahre lang hat er für Wellpappe Gelsenkirchen gearbeitet. Zumindest eines steht für ihn vor der Versammlung fest: „Das hätten die nicht gedacht, dass wir so einen Alarm machen und so viel Widerstand zeigen. Aber wird sind ja so eine kleine Belegschaft. Bei ein paar tausend Betroffenen, würde das alle interessieren.“ 96 sind es in Heßler. Und die wollen weiter gegen das Aus kämpfen. Oder zumindest für einen würdigen Abgang.