Gelsenkirchen. . Die Arbeitsagentur übernimmt nach Vermittlung der Stadt die Vorfinanzierung. Die Belegschaft erfährt viel Unterstützung – auch von Schalke hilft.
- Insolvenzgeld für die freigestellte Belegschaft soll nun von der Arbeitsagentur vorfinanziert werden
- 96 Mitarbeiter und ihre Familien erfahren viel Unterstützung – auch von „Schalke hilft“
- Vor dem Arbeutsgericht wird Mittwoch verhandelt, ob der Betriebsrat wieder ins Werk darf
Das Insolvenzgeld für die freigestellte Belegschaft von Wellpappe Gelsenkirchen kann fließen. Die Bundesanstalt für Arbeit übernimmt die Vorfinanzierung.
„Das ist doch schon mal eine super Sache. Gott sei Dank“ – dem Betriebsratsvorsitzenden Bodo Steigleder ist die Erleichterung anzuhören. Sie nimmt ein wenig den Druck von 96 Mitarbeitern und ihren Familien.
Nach der überraschenden Insolvenz des Werks hatte Geschäftsführer Dr. Wolfgang Palm seine Unterschrift zur Auszahlung des Insolvenzgeldes an die Beschäftigten verweigert. Nachdem bereits die Auszahlung des Oktobergehaltes ausgeblieben war, stand die Belegschaft damit völlig mittellos da. Der vorläufige Insolvenzverwalter Rolf Weidmann und die zuständige Regionaldirektion der Bundesanstalt für Arbeit haben jetzt nach Vermittlung durch die Stadtverwaltung vereinbart, dass die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes für Oktober, bei Bedarf auch für November und Dezember übernommen wird. Damit kann das Insolvenzgeld in Kürze ausgezahlt werden.
„Wir hoffen, dass so die schlimmsten finanziellen Sorgen der Belegschaft gemildert werden können“, sagt Oberbürgermeister Frank Baranowski und dankt „allen Beteiligten für diese unbürokratische Lösung.“
Mahnwache steht seit einer Woche vor dem Werkstor
Tag sieben nach der Hiobsbotschaft haben sie im Montags-Dauerregen buchstäblich durchgestanden. Sieben Nächte auch: Seit einer Woche harrt die Mahnwache vor dem Werk an der Grothusstraße 90a aus.
In mehreren Schichten rund um die Uhr zeigt die ausgesperrte Belegschaft Präsenz, auch um zu verhindern, dass nach dem Insolvenzantrag Werte aus dem Betrieb geschafft werden. Dienstag hofft der Betriebsratsvorsitzende Bodo Steigleder zusammen mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter in den Betrieb zu kommen. „Wir planen über ihn eine Inventur unter Beteiligung der Belegschaft. Wir wollen gucken, was da ist. Dann könnten wir wenigstens mit den Nachtwachen aufhören.“
An der Lage vor Ort hat sich ansonsten in der letzten Woche wenig verändert. Von ihrer Freistellung auf Widerruf erfuhren die 96 Beschäftigten am 31. Oktober per Brief, nachdem sie noch bis zum Monatsende gearbeitet hatten. Ihr letztes Gehalt blieb Wellpappe Gelsenkirchen den Betroffenen schuldig. De facto sind sie noch bei Wellpappe beschäftigt. Arbeitslosengeld können sie nicht beantragen, für frühzeitiges Insolvenzgeld hätte es der Bereitschaft der Geschäftsführung im Zusammenwirken mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter Rolf Weidmann bedurft.
Bei einer Verdi-Jubilarehrung wurden fast 600 Euro gesammelt
Die blieb aus. Rechtsanwalt Weidmann konnte darauf nur empfehlen, Engpässe bis zum Jahresbeginn 2017 per Dispo oder privat geliehenem Geld oder aus Erspartem zu überbrücken. Zumindest mit dem Signal der Arbeitsagentur, das Insolvenzgeld vorzufinanzieren, ist nun eine gewisse Entspannung eingetreten.
Für die Belegschaft in Not wurden bereits am Wochenende bei einer Verdi-Jubilarehrung fast 600 Euro gesammelt. Beim Evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen/Wattenscheid hat man eine geplante Spendenaktion vorerst ausgesetzt, nachdem klar war, dass nun doch Insolvenzgeld fließt. „Das ist erst einmal eine gute Nachricht“, sagte Superintendent Heiner Montanus. „Statt auf Spenden angewiesen zu sein, wird der Rechtsanspruch erfüllt, den sich die 96 Menschen erarbeitet haben.“
Gegen Nizza im Stadion mit von der Partie
Industrie- und Sozialpfarrer Dieter Heisig war mehrfach bei der Mahnwache, geißelte das Verhalten des Unternehmens als „Auswüchse eines Raubtierkapitalismus. Hier wurde wieder eine Grenze überschritten. das können wir uns nicht bieten lassen.“ Für den Sozialpfarrer und den Superintendenten ist klar, dass „wir für die Menschen einstehen und auch streiten“, dass „wir als Kirche deutlich machen: Ihr seid in dieser Situation nicht allein, mit eurer Not haben wir etwas zu tun.“
Unterstützung für die Wellpappen-Mitarbeiter hat auch „Schalke hilft" angekündigt und das mit einer konkreten Einladung verbunden: Beim Europa-League-Heimspiel der Schalker am 24. November gegen OGC Nizza sind die 96 Beschäftigten und ihre Familien im Stadion. „Wir sind ja alle Schalker“, sagt Steigleder. „Eine tolle Geste.“ Insgesamt, so der Betriebsrat, „ist es rührend, was an Solidarität und Unterstützung kommt. Das schweißt auch zusammen.“
Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Gelsenkirchen
Mit Strafanträgen und dem Bemühen um eine Einstweilige Verfügung ist der wie die Belegschaft freigestellte und ausgesperrte Betriebsrat gegen den Palm-Konzern und seinen Geschäftsführer vorgegangen.
Der Betriebsrat will gerichtlich den Zugang zu seinem Büro auf dem Werksgelände durchsetzen. Ohne Zugang und ohne Unterlagen, so die Argumentation, sei eine Interessenvertretung der Belegschaft nicht möglich. Das Arbeitsgericht Gelsenkirchen,, Bochumer Straße 79, verhandelt den Fall am Mittwoch, 9. November, 10 Uhr.