Gelsenkirchen. Der vorläufiger Insolvenzverwalter war zu einer ersten Bestandsaufnahme im Werk. Der Betriebsrat stellt Strafantrag gegen die Konzernführung.
- Für die Belegschaft der Wellpappe Gelsenkirchen reißen die schlechten Nachrichten nicht ab
- Zur Aussperrung per Freistellung auf Widerruf und Einstellung des Betriebs kommen nun Geldsorgen
- Der Betriebsrat wil lper einstweiliger Verfügung und Strafantrag gegen Palm-Konzern vorgehen
Für die Belegschaft der Wellpappe Gelsenkirchen GmbH & Co. KG reißen die schlechten Nachrichten nicht ab: Erst die Insolvenzmitteilung, dann die Aussperrung per Freistellung auf Widerruf, Einstellung des Betriebs, nun die Geldsorgen und Dauer-Frust. „Es ist einfach unglaublich, was da läuft. Und traurig“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Bodo Steigleder.
Kein Weg aus der Zwickmühle
Das Oktobergehalt bekamen die Wellpappe-Mitarbeiter nicht mehr ausgezahlt, obwohl das Werk bis zum Monatsende voll produzierte. Insolvenzgeld für drei Monate werden sie frühestens nach dem Jahreswechsel nach Eröffnung des Verfahrens bekommen. De facto sind die 96 Mitarbeiter nach ihrer Freistellung, von der sie nur per Brief erfahren hatten, noch beschäftigt. Arbeitslosengeld können sie nicht beantragen. sollten sie selbst kündigen, verlieren sie Ansprüche.
Eine Zwickmühle, aus der der vorläufige Insolvenzverwalter Rolf Weidmann den 96 Betroffenen und ihren Angehörigen Donnerstag keinen Ausweg weisen konnte, auch weil die Wellpappen-Geschäftsführung in Person von Konzernchef Dr. Wolfgang Palm offenbar nicht mitspielt und aus Sicht des Betriebsrats auch weiterhin keinerlei Aufklärungsbereitschaft zeige. „Er wird die Produktion in Gelsenkirchen nicht wieder aufnehmen. Zumindest nicht mit dieser Belegschaft“, glaubt Steigleder. „Eigentlich war uns schon klar, dass sich am Zustand nichts ändern wird. Wir müssen jetzt erst mal durchatmen und sehen, dass wir das Beste draus machen.“ Die Belegschaft müsse nun „wohl oder übel die Monate vorfinanzieren, ohne dass ich daran groß etwas ändern kann“, sagt Weidmann
Überblick über den Maschinenpark und die Lage im Werk
Bislang hat er lediglich mit Anwälten des Unternehmers gesprochen. „Der Geschäftsführer stand mir nicht zur Verfügung.“ Auch musste sich der Rechtsanwalt für eine erste Sachverhaltsaufnahme allein einen Überblick über Maschinenpark und Lage im Werk an der Grothusstraße 90a machen. „Es zwickt juristisch an ein paar Ecken“, kommentiert der Anwalt das ungewöhnliche Vorgehen, übt sich ansonsten aber in Neutralität.
Donnerstag informierten er, der Betriebsrat und Verdi die Belegschaft bei einer Beschäftigtenversammlung im Wissenschaftspark.
Die Stadt hatte die Räume zur Verfügung gestellt – das Werk ist ja weiterhin für die Mitarbeiter tabu. Frank Baranowski nahm an der Versammlung teil. Zuvor hatte er mit Palm Kontakt aufgenommen – wohl auch in der Hoffnung auf eine nachvollziehbare Erklärung für den Insolvenzantrag. Vergeblich. Der Tenor, der in der Runde anschließend kolportiert wurde: Palm habe sich Jahrzehnte lang mit Wellpappe Gelsenkirchen und dem dortigen Betriebsrat rumgeärgert, das tue er sich nicht weiter an.
Steigleder strebt auch ein Ordnungswidrigkeitsverfahren an
Derweil hat der Betriebsrat Strafantrag gestellt und will eine einstweilige Verfügung erwirken, weil er sich in seiner Arbeit massiv behindert sieht. Steigleder strebt auch ein Ordnungswidrigkeitsverfahren an, weil Informations- und Beteiligungspflichten verletzt worden seien.
Als unglaublichen Vorgang wertet der stellvertretende Verdi-Bundesvorsitzende Frank Werneke das Vorgehen. „Die Palm-Gruppe ist der zweitgrößte Wellpappekonzern in Deutschland, der zuletzt durch millionenschwere Zukäufe seine Marktposition ausgebaut hat. Der Konzern verfügt über genügend Mittel, um ein Werk mit 96 Mitarbeitern anständig zu behandeln und mit der Interessenvertretung nach Wegen zum Erhalt der Arbeitsplätze zu suchen. Hier liegt ein klarer Fall vor, ein Werk bewusst in die Insolvenz geführt zu haben.“
Solidaritätsadressen aus allen politischen Lagern
Unterstützung erfahren die Beroffenen weiterhin aus allen politischen Lagern. Vertreter von SPD und Linke waren Mittwoch bei der Mahnwache am Werkstor dabei, von CDU bis MLPD gab es Solidaritätsadressen. Donnerstag meldete sich auch die grüne Bundestagsabgeordenete Irene Mihalic zu Wort und zeigte sich empört über das Vorgehen der Palm-Gruppe: „Eigentlich hatte ich gehofft, dass ein solcher Umgang mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Vergangenheit angehört. Es ist nicht nur eine Stilfrage sondern auch angesichts der mitgeteilten Auftragslage eine Unverschämtheit, zum einen den Lohn für Oktober nicht auszubezahlen und insbesondere die Leute auf die Straße zu stellen.“
Peter Tertocha, Fraktionsvorsitzender der grünen Ratsfraktion in Gelsenkirchen ergänzt: „Unabhängig davon, dass die Leute an ihrem Arbeitsplatz hängen ist es gerade in Gelsenkirchen so, dass nicht einfach eine neue Arbeit gefunden werden kann. Unglaublich ist für mich auch, dass sich die Firmenspitze nicht genötigt sieht, sich gegenüber der Belegschaft zu äußern.“