Gelsenkirchen. An neun Orten erinnern 22 neue Stolpersteine an die Opfer des Nazi-Terrors.
Bevor Künstler Gunter Demnig am Donnerstag an acht Stellen in Gelsenkirchen neue Stolpersteine zum Gedenken an Opfer des braunen Nazi-Regimes verlegen kann, gerät er am Kölner Ring in die Staufalle. Also verzögert sich die Aktion vom ersten Verlegungsort an. Kein Problem für die Menschen, die an den unterschiedlichen Orten warten.
Für Familie Max Schloss in Buer und Johann Eichenauer in Horst setzt der Künstler die Erinnerungssteine in den Gehweg, bevor er mit Andreas und Heike Jordan von Gelsenzentrum e.V., die die Stolpersteinaktion in Gelsenkirchen initiiert haben, in den Süden der Stadt fährt. An der Josefstraße 32, Ecke Knappenstraße, harrt eine Hand voll Leute in der kalten Herbstluft aus. Unter ihnen Jürgen Wenke aus Bochum.
Besuch in Buchenwald
Wenke, ehemaliger Vorsitzender des Vereins Rosa Strippe e.V. , hat sich in Bochum für die Verlegung von Stolpersteinen für homosexuelle NS-Opfer eingesetzt. 2011 besuchte Wenke die Archive der Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar, um dort die Spuren von Männern zu verfolgen, die von den Nazis wegen ihrer Homosexualität ermordet wurden. Besser gesagt: ihrer vermeintlichen Homosexualität. Wenke sagt, es könne sich um eine im so genannten Dritten Reich durchaus übliche Denunziation gehandelt haben. Gleich wie: Josef Wesener wurde im November 1940 verhaftet und nach Paragraf 175 zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Statt der Entlassung folgte die Deportation nach Neuengamme und im März 1944 die Verlegung ins KZ Buchenwald.
„Wie Wesener die Leistung vollbrachte, die jahrelange KZ-Internierung zu überleben, ist unbekannt“, berichtet Jürgen Wenke am Verlegungsort des inzwischen dritten Gelsenkirchener Stolpersteins für ein homosexuelles Opfer des braunen Terrors. Aber: Wesener hat es geschafft und kehrte nach Kriegsende zu seiner damals 82-jährigen Mutter nach Gelsenkirchen zurück. Er selbst starb psychisch krank und dement 1987 im Alter von 84 Jahren in Düsseldorf.
Auch interessant
An insgesamt neun Orten verlegt Gunter Demnig an diesem Donnerstag 22 Stolpersteine. Und an jedem einzelnen Ort stehen die traurigen Lebens- und Leidenswege jüdischer Männer, Frauen und Kinder oder jener Menschen, die das mörderische nationalsozialistische System aus anderen Gründen „verschwinden“ ließ, im Mittelpunkt des kurzen Gedenkens.
Auch vor dem Grillo-Gymnasium an der Hauptstraße 60. Schüler, Lehrer und Mitglieder der jüdischen Gemeinde um ihre Vorsitzende Judith Neuwald-Tasbach haben sich hier versammelt, um eines besonders schrecklichen Kapitels zu gedenken: Günter Schönberg, Hermann Cohn, Albert Gompertz, Ernst Back, Horst Karl Elias und Erich Lilienthal waren Schüler. Sie waren jung, sie lernten am städtischen Realgymnasium an der damaligen „Adolf-Hitler-Straße“. „Hier lernte ...“ steht auf den gold schimmernden Steinen über jedem einzelnen Namen. Erich Lilienthal wurde in Riga ermordet; Horst Karl Elias brachten die Nazis in Auschwitz um.
Die Schüler der Klassen 6a und 7a haben sich mit Lehrerin Susanne Knorth im Fach praktische Philosophie dieses düsteren Schulkapitels angenommen. Sechs Mädchen und Jungen, jeweils eine weiße Rose in der Hand, lesen am Verlegungsort Kurzbiografien der damaligen Schüler vor, die Mitglieder der jüdischen Gemeinde sprechen ein Gebet.
Veranstaltung am 1. Dezember
Gemeinde und Schüler sind sich bei der Arbeit näher gekommen. So wird am 1. Dezember im Grillo-Gymnasium eine gemeinsame Veranstaltung stattfinden, zu der auch Ernst Back als Überlebender aus Schweden anreisen wollte. Schulleiterin Christhilde Schwindt sagt am Rand der Stolperstein-Verlegung, dass ihm dies aus gesundheitlichen Gründen wohl nicht möglich sein wird. Grillo-Gymnasium, Förderverein und der ehemalige Schulleiter Manfred Gast haben die Patenschaft für die sechs Stolpersteine übernommen.