Gelsenkirchen. Michael Schulz, Generalintendant des Musiktheaters im Revier (MiR), blickt auf die abgelaufene Saison zurück und spricht über die kommende Saison.
Der letzte Vorhang ist gefallen. Auch im Musiktheater im Revier ist inzwischen die Sommerruhe eingekehrt, ist die Bühne verwaist, der Orchestergraben leer. Nur die Bauarbeiter sorgen in diesen Tagen dafür, dass das Haus klingt und lärmt. Zeit für ein Sommer-Interview mit dem Chef des Opernhauses, dem Generalintendanten Michael Schulz, über die abgelaufene Saison, über Ängste und Sorgen, Urlaubspläne und Perspektiven für die nächste Spielzeit.
Die Spielzeit 2015/16 ist zu Ende: Wo erfüllte die Saison Ihre Erwartungen, was enttäuschte, welche Produktion überraschte?
Michael Schulz: Ich bin sehr zufrieden, gerade ob der großen Bandbreite und des teils sehr ungewöhnlichen Spielplans. Dass es im Theater Höhen und Tiefen gibt, auch Fehlentscheidungen, das gehört zu unserem Beruf dazu. Ich freue mich zum Beispiel maßlos über die Erfolge des Balletts und den zweiten Faust für Company und Bridget Breiner. Die Vielfalt und Offenheit ihrer Arbeit inspiriert auch meine. Dann freue ich mich über mein eigenes „Kind“, darüber, dass diese krude Idee der Steampunkoper vom Publikum sehr umjubelt worden ist. Diese Produktion hat unglaublichen Spaß gemacht. Ich bin froh darüber, mit welcher Euphorie meine Mitarbeiter die großen Herausforderungen begleitet haben. In diesem Haus wird an einem Strang gezogen.
Einige Puristen legten wegen der Steampunkoper die Stirn in Falten.
Schulz: Das stimmt. Aber wir müssen uns Gedanken darüber machen, ein neues Narrativ zu finden. Die Vielfalt des Erzählens wird sich in den nächsten zehn Jahren sehr weiterentwickeln. Das klassische Repertoire der Kunstform Oper wird nur noch ein Teil des zukünftigen Angebotes sein. Das macht Kunst aber auch aus: Wir sind kein Museum. Wir müssen neue Formen ausprobieren.
Und die Enttäuschungen?
Schulz: Nun ja, „Tosca“ fand nicht einen so großen Publikumszuspruch, wie ich es erwartet hätte. Dieses Publikum geht eben nicht automatisch nur in die bekannten großen Opern.
Dabei setzten Sie gerade in dieser Saison auf große Blockbuster wie „Fledermaus“ oder „Norma“, aber gleichzeitig auch auf zeitgenössische, experimentelle Oper wie „Ingolf“. Ein kluger Weg, durch volle Häuser einerseits auch zeitgenössisches Musiktheater andererseits finanzieren zu können?
Schulz: Wir wünschen uns natürlich, dass eigentlich alles voll ist. Wir machen nichts, an das wir nicht glauben. Aber wir sind auch nicht naiv und wissen, dass eine Produktion wie „Ingolf“ nicht ausverkauft sein wird. Solche Einbrüche aufzufangen, ja, dabei helfen die Blockbuster.
Mit einer Schalke-Revue eröffneten Sie die Spielzeit. Sind Sie inzwischen auch infiziert vom blau-weißen Virus?
Schulz: Wenn ich im Stadion bin, dann will ich auch, dass Schalke gewinnt, klar. Theater und Fußball sind ja gar nicht so weit voneinander entfernt und wir haben einen guten Kontakt dorthin. Aber: Meine Leidenschaft gehört dem Musiktheater (lacht).
Seit vielen Wochen hängt weithin sichtbar das Banner „Frieden leben. Furcht besiegen. Frieden wahren“ am Turm des Hauses.
Schulz: Ja, über den Sommer wird es auch dort bleiben, danach werden wir uns Gedanken über ein neues machen. Wir müssen diese Fläche auch zukünftig für Statements nutzen, wollen sichtbar machen und zur Diskussion anregen.
Wie tagesaktuell politisch sollte, darf Theater sein?
Schulz: Theater ist immer auch eine politische Plattform, ein Ort des Diskurses. Menschen brauchen Bereiche, an denen sie sich auseinander setzen können, auch wenn wir nicht der Raum sind, an dem die Probleme gelöst werden können. Aber wir versuchen, sie anzusprechen, darauf aufmerksam zu machen. Tagesaktualität auf der Bühne ist schwierig, dafür stehen unsere Konzepte viel zu früh fest. Die Inhalte der Oper und des Balletts sind ja allgemeingültige. Aktualität findet sich eher in Diskursen und Kleinformaten wie zuletzt in der Jam Session, in der auch geflüchtete mitspielten. Wir wollen aber auch nicht zu schnell reagieren, wollen keine Marketingstrategie auf dem Rücken von Notleidenden austragen. Schnell sein geht immer, aber was kommt danach?
Welche politischen Themen wollen Sie in den nächsten Monaten angehen?
Schulz: Die Roma werden 2017 ein großes Thema sein, sie sind es ja auch in dieser Stadt. Die gesellschaftliche Verantwortung des Einzelnen wird ein Thema werden. Europa als Sehnsuchtsland könnte eines sein, vielleicht die Arbeit als identitätsstiftender Wert, gerade wenn 2018 der Bergbau hier Geschichte sein wird.
„Furcht besiegen.“ Wovor haben Sie Angst?
Schulz: Ich habe Angst davor, dass Populismus zum Mainstream wird, dass er Stumpfheit und Dummheit hervorbringt und den Diskurs und das Verständnis für den anderen überlagert. Ich habe auch Sorge vor der Überforderung der Stadtgesellschaft durch das, was ihr von Seiten des Bundes aufgebürdet wird. Ich habe Angst vor der Feigheit vieler Menschen, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Keine Furcht zu haben, das ist wichtig.
Sie haben die großen Erfolge von Bridget Breiner schon angesprochen. Wie lange wird man sie am Haus halten können?
Schulz: So lange, wie ihre Arbeitsbedingungen stimmen. Das müssen wir ihr hausintern ermöglichen, das versuchen wir auch. Wir arbeiten hervorragend zusammen, tauschen uns gut aus, sie fühlt sich hier hoffentlich gut aufgehoben.
Ihr Vertrag endet mit der Spielzeit 2018/19. Wo sehen Sie Ihre Zukunft?
Schulz: (lacht) Zurzeit bin ich ja noch hier! Und die Arbeit in Gelsenkirchen macht mir viel Spaß. Irgendwann möchte ich mich aber auch woanders ausprobieren, das ist in unserem Beruf einfach notwendig. Aber noch ist es nicht soweit und es gibt auch keine Bestrebungen. Ich würde aber nicht unbedingt nur einfach an ein größeres Haus wechseln wollen, sondern an ein solches, an dem ich meine künstlerischen Ideen so wie hier verwirklichen kann.
Die Theaterferien stehen vor der Tür, können sie tatsächlich Urlaub machen, zumal Sie ja noch eine große Aufgabe in Dresden vor sich haben?
Schulz: Das stimmt, ich werde die neue Saison an der Semperoper mit der „Salome“ von Richard Strauss eröffnen. Die ist ja 1905 dort uraufgeführt worden und eine der heiligen Kühe in Dresden. Aber ich werde auch mit meiner Frau gemeinsam Urlaub machen, viel lesen, Musik hören, die Familie besuchen, Freunde treffen.
Worauf freuen Sie sich in der nächsten Spielzeit am Musiktheater ganz besonders?
Schulz: Natürlich auf alles, aber ganz besonders auf die Oper „Die Passagierin“ von Weinberg, auf Wagners „Tristan und Isolde“ und auf den Ballettabend „The vital unrest“.
Die diesjährige Kooperation mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen traf auf ein großes Echo. Fortsetzung geplant?
Schulz: Ja, auf jeden Fall, da sind wir bereits in guten Gesprächen.