Gelsenkirchen. Die Polizei setzt auf „besonders beschleunigte Verfahren“ bei der Strafverfolgung von Ladendiebstahl oder Sachbeschädigung. Im Visier: Täter ohne Wohnsitz.
Die 32 Jahre alte Frau und ihr 44-Jähriger Begleiter stehlen letzte Woche ein paar Jeans in einem Geschäft an der Bahnhofstraße. Ein Ladendetektiv erwischt sie dabei. Der Fall ist eindeutig, die Beweislage wohl auch. Die beiden willigen in ein Schnellverfahren ein und werden einen Tag später verurteilt.
Vier und sechs Monate Freiheitsstrafe zur Bewährung verhängt das Amtsgericht. Montag dann ein weiterer Fall: Ein 21-Jähriger wird beim Diebstahl von drei elektrischen Zahnbürsten in einem Drogeriemarkt erwischt. Auch er steht Stunden später vor dem Richter, wird rechtskräftig zu 500 Euro Strafe verurteilt. Was die drei Personen weiter verbindet: Sie haben Bagatelldelikte begangen, sie haben keinen festen Wohnsitz. Das Paar kommt aus Rumänien, der Mann aus Marokko. Eine Adresse für Verfahrens-Post gibt es nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie unauffindbar verschwinden, ist groß. Und so durchlaufen sie das sogenannte „besondere beschleunigte Verfahren“, das Gelsenkirchener Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz verstärkt seit Monatsbeginn auf Initiative des Polizeipräsidiums anwenden.
Amtsgericht hält im Sitzungsplan Termine frei
Die rechtliche Basis dafür besteht eigentlich seit einer Novellierung der Strafprozessordnung 1994. In engen rechtlichen Grenzen sind seither schnelle Verfahren möglich. In der Praxis gab es sie aber so gut wie nie. Das hat sich jetzt in Gelsenkirchen geändert, nachdem Behördenleiter organisatorisch die Grundlagen geschaffen haben. „Seit Anfang Februar hatten wir sechs Fälle, fünf sind abgeurteilt, einer ist noch in der Mache“, so Polizeisprecher Olaf Brauweiler am Donnerstag.
Im Alltag der Ermittler bedeutet das: Zeitdruck, um die Hauptverhandlungshaft zu sichern. Die Kripo schließt umgehend den Vorgang ab und vernimmt alle Beteiligten, bei der Staatsanwaltschaft Essen wird sofort reagiert, auch das Amtsgericht hält im Sitzungsplan Termine frei, um innerhalb von 24 Stunden zu urteilen. Bei Fällen, die vor einem Schöffengericht verhandelt werden wie Raub oder schwerer Körperverletzung, oder der nötigen Auswertung von Beweismitteln ist ein beschleunigtes Verfahren nicht angesagt. „Im Prinzip geht es um den geständigen Ladendieb oder den Schwarzfahrer“, sagt Dr. Nicola Brand, aufsichtführende Richterin am Amtsgericht Gelsenkirchen.
Eingeschränkte Beweisaufnahme
Strafanwalt Florian Beisenbusch sieht beschleunigte Verfahren mit einer Portion Skepsis – eben „weil die Beweisaufnahme in abgespeckter Form“ stattfinde und es eben nicht möglich sei, „im Sinne der Beschuldigten beispielsweise Rückfragen an Zeugen zu stellen.“ Letztlich, so der Anwalt macht es „nur Sinn, wenn die Beweislage wirklich eindeutig ist, aber das kommt wie so oft auf den Einzelfall an. „Positiv ist aber auch für den Anwalt, dass „Verfahren einen schnellen Abschluss finden.“
Und darum geht es vor allem der Polizei: „Das ist ein deutliches Zeichen nach außen, dass wir auch diese Massendelikte ernst nehmen und verfolgen“, sagt Polizeisprecher Brauweiler. Die zeitliche Nähe von Ursache und Urteil sieht er als Vorteil: „In der Regel dauert es sonst Monate, bis es zum Verfahren kommt. Hier folgt die Strafe auf dem Fuße. Das schreckt ab.“