Gelsenkirchen. Peter Tertocha hat sich die Akten zum Jugendamtsskandal angeschaut. Demnach wurden Stadt und Landesjugendamt schon 2005 über Überbelegungen im Kinderheim St. Josef informiert.

Peter Tertocha findet nach seiner Einsichtnahme in die städtischen Akten zum Jugendamtsskandal klare Worte: „Die systematische Überbelegung des Kinderheims St. Josef war dem Jugendamt Gelsenkirchen und der Aufsichtsbehörde (Landesjugendamt Westfalen, Anm. d. Red.) seit langer Zeit, im Prinzip seit dem Jahr 2005, bekannt.“ Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Rat der Stadt untermauert die ernsten Beschuldigungen so: „Es existieren Aktenvermerke des Jugendamts, Schreiben der Aufsichtsbehörden und Protokolle mit entsprechenden Feststellungen.“

Darüber berichtete Tertocha in der letzten Sitzung des „Ausschusses zur Untersuchung von Fehlverhalten im Kontext der Gelsenkirchener Jugendhilfe“ am 2. Dezember – im nichtöffentlichen Teil.

Dort nannte er nach eigenen Angaben auch Geldsummen und Namen der Personen, die davon laut Vermerk definitiv wussten oder seiner Meinung nach hätten informiert gewesen sein müssen.

Mitarbeiter informierte den LWL per Fax

Anlässlich einer Pressekonferenz am Freitag im Fraktionsbüro der Grünen wiederholte Tertocha diese sensiblen Daten nicht. Aber klar ist seither, dass eben nicht erst seit der anonymen Anzeige im Jahr 2013 gegen St. Augustinus (Träger und Betreiber des Jugendheimes St. Josef) die Überbelegung beim LWL aktenkundig war, sondern schon acht Jahre früher. „Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe ist da per Fax aus dem Jugendamt informiert worden.“ Der Mitarbeiter des Jugendamtes, der sich in der Pflicht fühlte und über die Überbelegungen informierte, sei dort nach wie vor tätig. Damit hätten sowohl die Stadt als auch die Aufsichtsbehörde schon sehr früh von der Überbelegung des Kinderheimes gewusst, aber nicht reagiert.

Die Atmosphäre im Ausschuss während seines Berichtes beschreibt Peter Tertocha so: „Ich habe 20 Minuten lang referiert. Es herrschte, von wenigen nebensächlichen Fragen abgesehen, eisiges Schweigen.“ Was den Grünen Politiker stark irritierte: „Offenbar war ich bis zu diesem Zeitpunkt der einzige, der Akteneinsicht beim OB beantragt hatte. Ich dachte, das würde für alle Parteien im Ausschuss zur Pflicht gehören. Zwei Stunden lang habe ich mich durch vier dicke Ordner gearbeitet.“

Detaillierte Berechnungen angestellt

Dadurch sei ihm nun klar: „Sowohl vom Jugendamt Gelsenkirchen als auch vom LWL wurden in der Vergangenheit detaillierte Berechnungen zum wirtschaftlichen Vorteil der St. Augustinus GmbH durch die Überbelegungen angestellt und gegenseitig zur Verfügung gestellt.“ An dieser Stelle, so Tertocha, müsse man nicht mehr über unzulässige Mehreinnahmen von St. Augustinus in sechs-, sondern in siebenstelliger Höhe reden.

Als Konsequenz aus der Akteneinsicht fordert die Ratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen die Verwaltungsspitze der Stadt auf, alle relevanten Unterlagen zur Bewertung des Jugendamtsskandals zu veröffentlichen.