Richard Rogge hat als Wirtschaftsförderer den Strukturwandel von Anfang an begleitet. Nun ist der 65-Jährige in den Ruhestand getreten. Mit dem Rad will er jetzt das erkunden, was seine Kollegen aufgebaut haben

Was war er nun: ein Verwaltungsmann oder ein Dienstleister für die Unternehmen? Richard Rogge schmunzelt. Und antwortet: Ein Verwaltungsmann, natürlich, aber eben auch ein Dienstleister für die Wirtschaft. 34 Jahre lang arbeitete er im Rathaus als Wirtschaftsförderer, die letzten 15 Jahre als Chef. Der Spagat zwischen Verwaltung und Wirtschaft, bekennt der 65-Jährige, war auf diesem langen Weg nicht immer einfach: "Irgendwie stand man immer unter Druck, die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bekommen, ließen einen nie zu Ruhe kommen." Passe?: Nun ist Rogge, der sich in seinem Amt als "Pfadfinder" bezeichnete, in den Ruhestand getreten.

Den Strukturwandel hat der zweifache Familienvater von Anfang an begleitet, ja mitgestaltet. Als er Anfang der 70er Jahre aus Lünen nach Gelsenkirchen kam, unter dem damaligen Abteilungsleiter (und späteren Sozialdezernenten) Erwin Neumann als Wirtschaftsförderer eintrat ins Liegenschaftsamt, da rauchten in der "Stadt der 1000 Feuer" noch die Schlote - auf Nordstern etwa, Hugo, Consol oder dem Schalker Verein. Als dann die Industrien und mit ihnen die Arbeitsplätze wegbrachen, musste Ersatz gefunden werden. Keine leichte Aufgabe: "Wir hatten ja keine Flächen für Neuansiedlungen zur Verfügung."

Diese mussten erst geschaffen werden, sein Ziel war: ein Gewerbegebiet in jeden Stadtteil. So etwa entstand jenes an der Emscherstraße, und zugleich war Klinken putzen angesagt. Und "hartes" Verhandeln, etwa wie mit jenen amerikanischen Investoren, die Ende der 70er Jahre in Erle eine Dosenfabrik eröffnen wollten, aber Angst davor hatten, dass die Emscher überläuft: "Was heißt Köttelbecke auf Englisch?" Da kam Rogge bei der nächtlichen Telefon-Konferenz mit Chicago ins Schwitzen. Gemeistert hat er's trotzdem: Nacanco kam und ist heute unter der Rexam-Flagge noch immer ein Aushängeschild der Wirtschaft.

Aus der "Stadt der 1000 Feuer" wurde so, nach und nach, die "Stadt der 1000 Sonnen", und Rogge arbeitete kräftig dabei mit. Als so manche Industrie verbrannte Erde hinterließ, entstand nach vielen Kraftakten auch der Wirtschaftsförderung etwa am Rhein-Herne-Kanal ein Naherholungsgebiet, in Ückendorf der Wissenschaftspark, am Schalker Markt ein Gewerbegebiet. Und überall ist sie heute zu Hause, die Solartechnik.

"Gelsenkirchen", resümiert der Mann mit dem Schnäuzer, "wird heute nicht mehr als der arme Verwandte am Tisch wahrgenommen." Sondern? "In der Region ist die Stadt als gleichberechtigter Partner akzeptiert", so der Diplom-Ökonom, der in Thüringen geboren wurde, in Dortmund aufwuchs und in Bochum studierte. Natürlich: Abgeschlossen sei der Strukturwandel noch nicht, doch Gelsenkirchen sei auf einem guten Weg: "Innovationsbranchen haben sich angesiedelt, und eine regionale Zusammenarbeit wurde aufgebaut."

Zeit also, die nächste Generation ans Ruder zu lassen, wie er selber sagt. Ob ihm nun langweilig wird daheim in Buer? Rogge schüttelt den Kopf. Überhaupt "Buer": Aus Gelsenkirchen komme er, stellt der Neu-Rentner klar, der Wert darauf legt, "dass ich nicht aus Buer bin". Egal ob Norden oder Süden, "überall gibt es schöne Ecken".

Die will er nun häufiger sehen, am liebsten auf dem Rad. Und nicht nur die: Früher, schmunzelt Rogge, sei er mit den Kindern (zu deren Leidwesen) bei Ausflügen gern durch die heimischen Gewerbegebiete gefahren. Nun seien andere Projekte an der Reihe, jene, die in den umliegenden Städten aufgebaut wurden, etwa Phoenix in Dortmund.

Den Weg wird Rogge schon finden. Schließlich war er "Pfadfinder". 34 Jahre lang.