Gelsenkirchen. An jedem ersten und dritten Dienstag im Monat zelebrieren Pfarrerin Dr. Zuzanna Hanussek und Pfarrer i.R. Hermann Zimmermann in Buer ordnungsbehördliche Bestattungen.

Karl Erich Kuschmierc, Lothar Lutz Stasiak, Heike Bauer, Walter Arthur Rohman – vier Namen, vier Schicksale. Vier Tote. Die Urnen mit den eingeäscherten Überresten der Verstorbenen stehen zur Bestattung bereit am Urnengrabfeld auf dem Hauptfriedhof in Buer. Letzte Ruhestätte für Menschen, deren Bestattungskosten niemand tragen kann oder die keine Angehörigen haben. Für Menschen, die völlig vereinsamt gestorben sind, die manchmal lange an dem Ort gelegen haben, wo sie ihren letzten Atemzug getan haben ... bevor sie jemand entdeckt hat. Manchmal nur durch Zufall.

Pfarrerin Dr. Zuzanna Hanussek, ihr katholischer Amtskollege, Pfarrer i.R. Hermann Zimmermann, und Bestatterin Doreen Giacchi treffen heute auf fünf Leute, die Punkt Zwölf vor der Trauerhalle auf dem Hauptfriedhof warten, um an der ordnungsbehördlichen Bestattung teilzunehmen. Sie alle kannten Karl-Erich Kuschmierc, der vom Sozialwerk St. Georg betreut wurde. 71 Jahre war er alt, soll „ein netter Kerl, mit dem man gut auskommen konnte“ gewesen sein. Seine St. Georg-Betreuer sind gekommen, eine Nachbarin und sein Mitbewohner, der sichtbar ergriffen ist. Krank sei er gewesen, der Kollege, sagt der Mann. Jeder hat eine Rose mitgebracht. Letzte Grüße für Karl-Erich.

Pfarrer Zimmermann freut sich über die Gruppe

Pfarrer Zimmermann begrüßt die kleine Gruppe, sagt: „Es ist gut, dass sie jetzt hier sind. Vielleicht nehmen sie den Weg zu den Gräbern zum Anlass, nachzudenken.“ Und am Ende vielleicht ein paar Worte zu sprechen, auch für die, die niemand kannte? An den vier Urnengräbern redet wenig später zunächst Zuzanna Hanussek. Sie zitiert die Bibel, vergleicht das Leben eines Menschen mit wachsendem grünen Gras und einer blühenden Blume. „Mit einem Mal ist dann das Gras verdorrt und die Blume ist abgefallen.“ Aber, fragt sie weiter: „Wo ist der Mensch?“ Sein Leben, seine Geschichte, seine letzte Zeit … „Es gibt Menschen, die keiner kannte. Wir stehen hier, damit sie nicht nur Erde und Asche sind, sondern eine Persönlichkeit, von der wir uns verabschieden.“ Sie bittet darum, ins „Vater unser“ auch die Leute einzuschließen, die vielleicht gerade unbemerkt mit dem Tod ringen.

Namenssteine für die Toten

Jeder der vier Verstorbenen wird einzeln mit seinem Namen verabschiedet und gesegnet. Zusammen bilden die vier frischen Urnengräber ein neues Quadrat auf dem schmalen, von Steinen eingefassten „Gottesacker“. Gleich nebenan sind die Reihen mit unbedacht Verstorbenen belegt. Die Urnengräber tragen Steine mit den Namen der Verstorbenen.

Die Kosten dafür, dass der Name der Toten in Erinnerung bleibt, trägt der ökumenische Verein Ruhe-Steine e.V., der aus der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen und Gemeinschaften Gelsenkirchen hervorgegangen ist. Arm oder einsam sein dürfe nicht bedeuten, namenlos zu sein, unterstreicht Zuzanna Hanussek an anderer Stelle.

Doreen Giacchi arbeitet für das Bestattungsinstitut Bergermann, dass die ordnungsbehördlichen Bestattungen im Auftrag der Stadt durchführt. Sie geht, wenn sie kann, immer mit. Aus Überzeugung. Weil manchmal außer Pfarrerin Hanussek, Pfarrer Zimmermann und ihr selbst niemand an den offenen Urnengräbern steht, um die Toten zu verabschieden, die niemanden mehr hatten, arm waren – einfach vergessen. Eine Beisetzung ohne Menschen, die Abschied nehmen, das wünsche sich doch niemand für seinen eigenen letzten Gang, meint sie.

Karl Erich Kuschmierc war auf seinem letzten Weg nicht allein – und die drei toten Menschen an seiner Seite auch nicht. Das wünschen sich Zuzanna Hanussek und Hermann Zimmermann für alle ordnungsbehördlichen Bestattungen. Sie finden regelmäßig an jedem ersten und dritten Dienstag eines Monats um Punkt 12 Uhr auf dem Hauptfriedhof in Buer statt. Manchmal werden mehr Urnen, es waren durchaus schon einmal acht oder zehn, in die Erde gelassen. Für Pfarrerin Hanussek, die an den festgelegten Tagen oft Tote bestattet, die ihr zu Lebzeiten nie begegnet sind, über deren Leben sie nichts weiß, sind letztes Geleit und würdevoller Abschied umso wichtiger. Weil es das Letzte ist, was man für den Menschen tun kann.

Das soziale Sterben geht dem physischen Tod oft voraus

Keine Forschungsgrundlage trotz der Brisanz dieses Themas: Vor diesem Hintergrund hat sich Susanne Loke mit ihren Kommilitoninnen Laura Geser und Nadine Henke an das Lehrforschungsprojekt „Unentdeckte Tode“ gemacht, sich mit den Hintergründen des Lebens und Sterbens einer Gruppe unentdeckt Verstorbener in Gelsenkirchen befasst.

Susanne Loke, Studentin im Masterstudiengang Soziale Inklusion, forschte mit zwei Komilitoninnen zum Thema „Unentdeckte Tode“ und hat sich Gelsenkirchen gaanz genau angesehen.
Susanne Loke, Studentin im Masterstudiengang Soziale Inklusion, forschte mit zwei Komilitoninnen zum Thema „Unentdeckte Tode“ und hat sich Gelsenkirchen gaanz genau angesehen. © Michael Korte

Den Anstoß dazu gab Pfarrerin Dr. Zuzanna Hanussek, die beim evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen-Wattenscheid das Referat Altern leitet. Sie weckte das Interesse der Studentinnen des Masterstudiengangs Soziale Inklusion an der Ev. Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum. Der Theologin war bei der Durchsicht von Dokumenten aufgefallen, dass ein nicht unerheblicher Teil der ordnungsbehördlich Bestatteten schon längere Zeit tot in ihren Wohnungen gelegen haben muss. Die Studentinnen haben ihrer Forschungsarbeit also die Frage zu Grunde gelegt: Gibt es in Lebenslage und Sozialraum unentdeckt Verstorbener Gemeinsamkeiten?

Susanne Loke hat die Sozialraumanalyse übernommen und zu diesem Zweck Gelsenkirchener Stadtteile besucht, Bestattungsunterlagen eingesehen – die Dokumente von 59 toten Gelsenkirchenern standen ihr zur Verfügung – und sich in ein Thema eingearbeitet, mit dem sie sich vorher nie beschäftigt hatte. Ende 2013 hat sie mit den Kolleginnen die Forschungsarbeit begonnen. Ein Jahr später lag das Ergebnis vor. „Mein Studium hat durch diese Arbeit eine andere Ausrichtung bekommen. Ich würde mich gerne beruflich damit beschäftigen“, zieht Susanne Loke ihr persönliches Fazit. Neuausrichtung, das passt zu der 50-Jährigen Wattenscheiderin. In den 1990er Jahren hat sie Sozialpädagogik studiert, vor der Diplomarbeit der Familiengründung den Vorzug gegeben. Es folgten Teilzeitbeschäftigung im sozialen Bereich, dann der Bachelor-Abschluss im Heilpädagogik-Studium. Jetzt sattelt sie also den Master drauf.

Soziale Sterben meist vor physischem Sterben

Das Thema der Forschungsarbeit hat sie nachdenklich gemacht. „Es wäre möglich, Ursachenforschung zu betreiben, wenn die Zahl der unbemerkt Verstorbenen erfasst würde“, sagt sie. Denn: „Auf den Totenscheinen ist die Liegezeit erfasst.“ Allerdings würden diese Ereignisse von den Standesämtern statistisch nicht erfasst – obwohl es doch so einfach wäre.

Bei Menschen, die Tage, Wochen oder gar Monate tot in ihrer Wohnung lagen, bevor man sie fand, sei das soziale Sterben dem physischen Sterben vorweg gegangen. Woraus die 50-Jährige den Schluss zieht: „Wir müssen schauen, wo die Verstorbenen aus dem Sozialraum gefallen sind, um künftig genau da anzusetzen. Da müssen Handlungskonzepte entwickelt werden.“ Weil davon auszugehen sei, dass das Thema in Zeiten demografischen Wandels, wachsender Altersarmut, Vereinsamung, aber auch der Erwerbslosigkeit an Bedeutung gewinne. „Nötig sind soziale Fachkräfte, die in den Quartieren auf Vereinsamung achten und Unterstützung anbieten“, formuliert sie ihre Zielvorstellung. Menschen mit geringen Ressourcen seien am ehesten vom einsamen Tod betroffen. Susanne Loke sieht Ursachen des unbemerkten Sterbens auch in der Anonymität der Nachbarschaft. „Es fehlt die Aufmerksamkeit, das Nachforschen.“ Etwa durch Klingeln an der Tür eines Menschen, der plötzlich weg ist, durch Nachschauen, Hilfe holen …

Wer bist du und wie hast du gelebt?

Schon, als sie noch in Herford im Bereich Obdachlosigkeit und Drogenabhängigkeit gearbeitet hat, regte Zuzanna Hanussek an, aufmerksam zu sein für die Menschen aus dem Kreis der Betreuten. Weil sie merkte: „Da stand immer einer an derselben Stelle – und plötzlich war er weg.“ Dann kamen hier und da Anfragen von Bestattern, „ob ich auch Menschen ohne Konfession bestatten würde“? Natürlich, keine Frage. Als „Begleitservice“ beschreibt sie leise lächelnd die Beerdigungen, denen sie fortan immer wieder Würde verlieh. Denn: „Ich finde, dass niemand ohne ein Wort gehen sollte.“ Die Würde des Menschen sei auch auf seinem letzten Weg unantastbar.

Pfarrerin Dr. Zuzanna Hanussek und Pfarrer i.R. Hermann Zimmermann während einer Bestattung auf dem Hauptfriedhof in Gelsenkirchen-Buer.
Pfarrerin Dr. Zuzanna Hanussek und Pfarrer i.R. Hermann Zimmermann während einer Bestattung auf dem Hauptfriedhof in Gelsenkirchen-Buer. © Funke Foto Services

2008 trat Pfarrerin Dr. Zuzanna Hanussek ihren Dienst im Referat Altern beim Ev. Kirchenkreis GE-Wattenscheid an. Hier erlebte sie als Seelsorgerin auch die Geschichte einer alten Frau, die sich zu Lebzeiten ausdrücklich gewünscht hat, man möge sie nach ihrem Ableben nicht verbrennen. Und dann sollte sie ordnungsbehördlich bestattet werden. Das Ringen um die Erdbestattung der Verstorbenen war der Auslöser für die Bemühungen Hanusseks, Sozialbeisetzungen einen würdigen Rahmen zu festen Terminen zu geben und die Toten mit dem Segen beider Konfessionen zu verabschieden. „Es hat gedauert, aber seit drei Jahren finden diese Bestattungen regelmäßig statt“, sagt sie.

Während Seelsorger bei Beerdigungen im Kreis von Familien, Freunden, Nachbarn und Kollegen aus dem Leben der Verstorbenen erzählen können, stoßen Zuzanna Hanussek und Pfarrer i.R. Hermann Zimmermann bei ordnungsbehördlichen Abschieden an ihre Grenzen. „Wer bist du, wie hast du gelebt, wie bist du gestorben?“ habe sie oft im Stillen gefragt, wenn niemand der Urne eines Verstorbenen das letzte Geleit gab. „Ich möchte diese Dunkelheit erhellen.“ Aber: Während die Pfarrerin bei Sozialdezernentin Karin Welge bei ihrem Plan, zu regelmäßigen Zeiten Bestattungen durchzuführen, Unterstützung fand, wurde ihr Anliegen auf Datenschutzaufhebung bei unbedacht Verstorbenen zu Forschungszwecken abgelehnt. Weil kein öffentliches Interesse bestehe.

Aber ein zutiefst menschliches ...

Schalke-Nord schneidet in der Bewertung nicht sonderlich gut ab 

Um persönliche Eindrücke aus dem sozialen Nahraum der unentdeckt Verstorbenen zu gewinnen, haben sich die Studentinnen auf den Weg durch die Stadtteile gemacht, haben Straßen charakterisiert, das Umfeld gesichtet oder etwa die äußeren Erscheinungsbilder der Häuser in Augenschein genommen, in denen laut vorliegenden Dokumenten ein Mensch unbemerkt gestorben ist. Auch die Nahversorgung in den Quartieren wurde gecheckt. Schalke-Nord schneidet in der Bewertung nicht sonderlich gut ab. Baufällige, nicht mehr bewohnte Häuser, die Straßen laut und schmutzig, weite Wege bis zum nächsten Discounter, Mangel an öffentlichen Treffpunkten.

Über Bulmke-Hüllen halten die drei Frauen in der Arbeit fest: „Viele der letzten Wohnadressen der Verstorbenen im Westen des Stadtteils sind Nebenstraßen der Bismarckstraße, welche ein gemischtes Bild bezüglich des baulichen Zustands der Häuser und der Belegung aufweisen.“ In Horst ist ihnen aufgefallen, dass die Wohnhäuser der unentdeckten Toten „in der Mehrzahl in einem mäßigen bis schlechten Zustand sind“, was auch das Umfeld ohne dazu gehörige nachbarschaftliche Treffpunkte angehe.

Unterstützung vom Ordnung- und Sozialamt

Unterstützung fanden Susanne Loke, Laura Geser und Nadine Henke beim Ordnungs- und Sozialamt sowie bei der Statistikstelle der Stadt Gelsenkirchen. Bei den Statistikern stießen sie auch mit ihrem Wunsch auf offenen Ohren, man möge in Gelsenkirchen künftig unentdeckt Verstorbene erfassen. Dies sei kein umständliches Verfahren und könne in Absprache mit den zuständigen Ämtern, wenn von der Stadt gewünscht, geschehen, lautete die Antwort. Das in der Forschungsarbeit nachzulesende Entgegenkommen dürfte die Initiatorin des Projekts, Zuzanna Hanussek, freuen. Die am Thema dran ist – leise, aber beharrlich.

„In § 8 Abs. 1 Satz 1 Bestattungsgesetz ist eine Rangfolge der zur Bestattung verpflichteten Hinterbliebenen enthalten. Kommt der Bestattungspflichtige seiner Verpflichtung nicht oder nicht rechtzeitig nach, hat die örtliche Ordnungsbehörde der Gemeinde, auf deren Gebiet der Tod eingetreten oder die oder der Tote gefunden worden ist, die Bestattung zu veranlassen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 Bestattungsgesetz NRW).“ So liest sich die Kostenregelung in der Amtssprache des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen.

Ausnahmen von der Urnenbestattung nur in besonders begründeten Fällen

Seit wann gibt es diese ordnungsbehördlichen Bestattungen eigentlich? Die WAZ fragte bei Stadtsprecher Oliver Schäfer nach. „Zur reinen Begrifflichkeit muss festgehalten werden, dass es sich bei den sogenannten ordnungsbehördlichen Bestattungen um Beisetzungen von Personen handelt, die entweder keine nahen Angehörigen haben bzw. diese eine Übernahme der Beisetzung ablehnen.“ Klar abzugrenzen davon seien die durch das Sozialamt veranlassten Beisetzungen. Schäfer: „Hierbei existieren Angehörige, welche die Beisetzungen im bestimmten Rahmen unter Gewährung finanzieller Zuschüsse quasi in Eigenregie durchführen lassen.“ Und: „Beide Bestattungsformen existierten seit jeher.“ In Gelsenkirchen sei das Verfahren rund um die ordnungsbehördlichen Bestattungen unbedacht Verstorbener zum 1. Mai 2011 in Zusammenarbeit mit den Kirchen neu aufgestellt worden.

© Funke Foto Services

Auch bei Beisetzungen von Amts wegen muss auf die Kosten geachtet werden. Die kommunalen Ordnungsbehörden sind durch die Rechtsprechung gehalten, die günstigste Bestattungsart zu wählen. Vor gut zehn Jahren fand laut Oliver Schäfer in Gelsenkirchen ein Umschwenken von Erd- auf Feuerbestattungen statt. „Wobei in besonders begründeten Fällen davon abgewichen werden kann.“ Wie viele dieser ordnungsbehördlichen Bestattungen es in den letzten Jahren gab? „Seit Jahren bewegt sich die Zahl zwischen 200 und 250 Fällen“, so Schäfer. Eine Tendenz lässt sich demnach nicht ableiten.

Gelsendienste pflegt die Gräber

Bevor evangelische und katholische Kirche die regelmäßigen Bestattungen auf dem Hauptfriedhof in Buer übernommen haben, fanden die Beisetzungen unbedacht Verstorbener auf Friedhöfen in Wohnortnähe statt, wobei, so der Stadtsprecher, auch dann die Kirchen eingebunden waren – und zwar die jeweiligen Gemeinden.

Was die Stadt für eine Bestattung inklusive Einäscherung zahlt, wenn der Verstorbene kein Geld hinterlassen bzw. keine Angehörigen hat, dazu könne die Verwaltung aus Gründen des Datenschutzes keine Angaben machen. Schäfer: „Allgemein kann gesagt werden, dass die Leistungen des Bestattungsunternehmens im Rahmen einer Ausschreibung ermittelt wurden.“

Und wer pflegt die Urnengräber der ordnungsbehördlich Bestatteten auf dem Hauptfriedhof? Das ist einfach: „Gelsendienste.“

Daten und Fakten aus der Forschungsarbeit

1 Bei der Sozialraumanalyse hat Susanne Loke auf verfügbare sozio-demografische Daten zurück gegriffen, um Rückschlüsse auf die Bevölkerung und deren soziale Lage in den einzelnen Stadtteilen ziehen zu können. Soweit verfügbar, konnte sie mit Daten Stand 31. Dezember 2013 arbeiten. Die Auswertung hat sie nach thematischen Schwerpunkten vorgenommen: Bevölkerungsstruktur und Wanderungsverhalten, Erwerbssituation und Armutslage, Wohnsituation und politische Partizipation.

2 Unter den 59 unbedacht Verstorbenen waren 46 Männer (78 Prozent) und 13 Frauen (22 Prozent). Eine Gemeinsamkeit hat die Studentin festgestellt: 50 Prozent der Männer und Frauen sind in Gelsenkirchen geboren und hier gestorben. Die Männer waren häufiger ledig, die Frauen dagegen häufiger verwitwet. Bei den Liegezeiten – also dem Zeitraum zwischen Tod und Auffinden – wurde anhand des Datenmaterials ein Mittelwert errechnet, der folgendes Bild ergibt: Bei den Männer lag diese bei acht, bei den Frauen lag die Zeitspanne bei 13 Tagen.

3 Von den 59 unbedacht Verstorbenen stammten zehn aus Schalke (inklusive Schalke-Nord); jeweils neun Personen wurden in Horst, Buer und Bulmke-Hüllen gefunden. In Ückendorf und Rotthausen lebten jeweils vier der Verstorbenen, in der Feldmark, in Scholven und Hassel jeweils drei. Zwei Tote wurden in der Altstadt, jeweils ein Toter in Resse, Erle und in Bismarck gefunden.

4 Erschreckend am Ergebnis der Forschungsarbeit sind diese Zahlen: Jeweils ein Toter hat in Schalke, Schalke-Nord, Horst, Buer, Feldmark und Hassel länger als 50 Tage gelegen, bevor er entdeckt wurde. Mehr als 30 Tage dauerte es, bis man jeweils zwei Verstorbene in Schalke und Schalke-Nord, und je einen in Bulmke-Hüllen, Horst, Buer und Feldmark fand.

5 Zum Auftakt der Sozialraumanalyse wurden die Bevölkerungszahlen beleuchtet. Buer als bevölkerungsreichster und Schalke-Nord als Stadtteil mit der geringsten Bewohnerzahl bilden dabei so etwas wie die Klammer. Wanderbewegungen innerhalb Gelsenkirchens im Jahr 2013 haben ergeben, dass Bulmke-Hüllen und Schalke überdurchschnittlich hohe Zuwächse hatten, Schalke-Nord dagegen den höchsten Bevölkerungsverlust.

6 Zum Vergleich enthält die Forschungsarbeit der Studentinnen auch diese Zahlen mit Stand 31. Dezember 2013: In Schalke (Bevölkerung 19 722) sind insgesamt 264 Menschen gestorben (sieben unentdeckt), in Schalke Nord (Bevölkerung 4282) 61 (drei unentdeckt), in Bulmke-Hüllen (Bevölkerung 23 678) 328 (neun unentdeckt), in Horst (Bevölkerung 19 492) 262 (neun unentdeckt) und in Buer (Bevölkerung 33 730) 435 (neun unentdeckt). Ein Blick auf die gesamt Stadt, die Ende 2013 insgesamt 258 094 Einwohner verzeichnete: 3422 Menschen sind in dem Jahr (1,33 Prozent) gestorben – und 59 von ihnen unentdeckt.