Gelsenkirchen. Die „Gruppe 7“ im Kinderheim St. Josef war offenbar bereits früher zu voll. So soll es 2011 eine Überbelegung von rund 145,64 Prozent gegeben haben.

Die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung St. Josef spielt im Gelsenkirchener Jugendamtsskandal eine zentrale Rolle. Nur durch die Kooperation der freigestellten Heimleiterin Anja Gresch mit der Neustart kft in Ungarn, gegründet und zeitweilig betrieben von den ehemaligen Amtsleitern Alfons Wissmann und Thomas Frings, war es möglich, dort ein Geschäftsmodell Jugendhilfe zu etablieren.

In der letzten Sondersitzung des Hauptausschusses betonte die St. Augustinus GmbH ihr großes Interesse an einer lückenlosen Aufklärung im eigenen Haus. Geschäftsführer Peter Weingarten hob hervor, dass der Verwaltungsrat am 8. Mai unmittelbar nach Bekanntwerden der Verwicklung einer Einrichtungsleitung die BDO-Wirtschaftsprüfungsgesellschaft aus Hamburg mit einer rückhaltlosen und uneingeschränkten Prüfung der internen Geschäftsprozesse der St. Augustinus Heime GmbH beauftragte.

System bei der Überbelegung

Während Weingarten nach WAZ-Informationen der suspendierten Heimleitung von St. Josef sehr früh in einem Gespräch unmissverständlich eine Kooperation mit der Neustart kft untersagt haben soll, müsste BDO feststellen können, dass es bei St. Josef nicht nur zu einzelnen Ausreißern bei der Überlegung der sogenannten „Gruppe 7“ kam. Berichtete „Monitor“ am 30. April von einer Überbelegung der Heimgruppe im Jahr 2007 von 151 und im Jahr darauf von 139 Prozent, liegen der WAZ ähnliche Zahlen für 2011 und 2012 vor.

Im Jahr 2011 gab es demnach eine Überbelegung der Gruppe an der Bromberger Straße in Rotthausen von 145,64 Prozent. Bei einer Belegung von sieben Plätzen hätte die Soll-Zahl der Gruppe in der Abrechnung bei 2555 Tagen gelegen, erreichte im Ist-Stand jedoch 3721 Tage. Ein Platz mit intensivpädagogischer Betreuung kostet mindestens 155 Euro; es müsste in den Büchern der St. Augustinus Heime GmbH, der Trägerin der Jugendhilfeeinrichtung St. Josef, ein Mehrbetrag von mehr als 180.000 Euro allein für diese Gruppe auftauchen.

Überbelegungen müssen gemeldet werden

Für das Jahr 2012 und einer Soll-Zahl von 2562 Tagen (die Differenz zu 2011 ergibt sich durch das Schaltjahr) wurden 3267 Tage in der Ist-Belegung aufgerechnet. Die rechnerische Überbelegung beträgt 127,52 Prozent, die Mehreinnahmen rund 109.000 Euro.

Erst nach einer anonymen Anzeige gegen die Überbelegungspraxis von St. Josef im Jahr 2013 ist das Landesjugendamt als Aufsichtsbehörde der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung aufmerksam geworden und kontrolliert jetzt auch die zurückliegenden Belegungen der Einrichtung bis zum Jahr 2004. Das hatte Landesrat Hans Meyer, Jugend- und Schuldezernent beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), in der ersten Sondersitzung des Hauptausschusses verkündet zusammen mit der Anmerkung, dass jede einzelne Überbelegung dem Landesjugendamt hätte mitgeteilt werden müssen.

Laut Monitor-Bericht hatte der zentrale Deal zwischen Jugendamtsleiter Wissmann, dem Kinderheim und der Neustart kft in Ungarn so ausgesehen: Wissmann und sein Stellvertreter Frings hätten zielgerichtet immer mehr Jugendliche ins Heim St. Josef geschickt. Das habe damit seine Einnahmen erhöht und als Gegenleistung Jugendliche von anderen Jugendämtern nach Ungarn geschickt, an das Heim, das Wissmann und Frings gegründet hatten.