Gelsenkirchen. Sinan Sat ist Gelsenkirchener, Journalist, Schalke-Fan. Wegen seiner türkischen Wurzeln wird er häufig mit Fremdenfeindlichkeit konfrontiert.

Ich bin Gelsenkirchener. Geboren vor 27 Jahren im Evangelischen Krankenhaus, aufgewachsen in der Altstadt, mein Abitur habe ich am Grillo-Gymnasium gemacht, den Zivildienst in einer Jugendeinrichtung. Journalist bin ich seit 2008, Redakteur bei der WAZ seit dem vergangenen Jahr und Schalker, so lange ich denken kann. Ich liebe das Ruhrgebiet, bin hier verwurzelt - und Rassismus begegnet mir regelmäßig.

WAZ-Redakteur Sinan Sat
WAZ-Redakteur Sinan Sat © Funke Foto Services

Immer wieder kommt es vor, dass Menschen, mit denen ich spreche, mich staunend ansehen: „Wow, du sprichst aber gut Deutsch“, habe ich öfter gehört, als ich zählen kann. Wenn ich in einem Elektromarkt in einem CD-Regal stöbere, steht der Ladendetektiv meist nur wenige Meter weiter. Und ich gehe kaum noch mit meiner Frau, meinen Freunden und Bekannten in Diskos – zu oft ist es vorgekommen, dass ich der einzige in der Gruppe, ja der einzige aller Gäste in der Schlange vor der Tür war, der nicht eingelassen wurde.

Den Stumpfsinn einigermaßen ignorieren

Rassismus ist Alltag im Leben vieler Deutscher mit ausländischen Wurzeln. Ich habe mit der Zeit gelernt, mit Ausgrenzung und Diskriminierung umzugehen, den Stumpfsinn einigermaßen zu ignorieren.

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Aber an manchen Tagen geht das nicht. Dann sind die Auswüchse extremer. Wie an diesem Samstag: Ich war mit Freunden in der Straßenbahn unterwegs, und zwei mir völlig fremde Männer verlangten nacheinander und unabhängig voneinander von mir, dass "die Muslime" sich von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ distanzieren und ein Zeichen gegen den Terror setzen sollten.

Meine schwarzen Haare in Kombination mit meinem Bart waren für sie offenbar Grund genug anzunehmen, ich stünde stellvertretend für Muslime in Deutschland - oder sogar in der Welt.

Zur gleichen Zeit hatten meine Schwester und meine Mutter einen kleinen Unfall, ein anderer Fahrer hatte ihr Auto touchiert. Als der Mann aus seinem Wagen ausstieg, entschuldigte er sich nicht etwa. Er sah meine Mutter und herrschte sie an: „Kannst du überhaupt Deutsch?“

Schockiert über unterschwelligen und offenen Rassismus

Als ich Freunden und Kollegen davon berichtete, reagierten viele entsetzt. Schockiert über den unterschwelligen und offenen Rassismus, der viel weiter verbreitet ist, als sie ahnten. Manche hatten sogar das Bedürfnis, sich für das diskriminierende Verhalten der anderen zu entschuldigen.

Was mir und meiner Familie an diesem Tag widerfahren ist, ist allerdings nur ein Beispiel von vielen. Täglich erleben Migranten und ihre in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kinder Ähnliches und Schlimmeres. Jedes vierte Migrantenkind in NRW bleibt ohne Lehrstelle. 60 Prozent aller Ausbildungsbetriebe haben noch nie einen Azubi mit Migrationshintergrund eingestellt. Ein Unternehmen aus Gelsenkirchen wollte dagegenhalten und hat Ende Februar bei Facebook ein Ausbildungsangebot für zwei Flüchtlinge veröffentlicht. Das Unternehmen bat um Rat und Unterstützung, stattdessen hinterließen zahlreiche Nutzer rassistische Beschimpfungen unter dem Aufruf.

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Sich dem Rassismus täglich zu stellen, ist mitunter sehr ermüdend. Unzählige Male in meinem Leben haben Menschen ein Gespräch, das sie mit mir führen wollten, mit den Worten: „Nichts gegen dich, aber viele Türken sind...“ oder „Du bist anders als die meisten Türken, aber...“ begonnen. Mit den Jahren haben meine engsten Freunde ohne Migrationshintergrund unzählige Diskriminierungserfahrungen an meiner Seite gesammelt. Sie bieten den Ausgrenzern Paroli. Das gibt mir die Kraft, mich auch dem nächsten von Vorurteilen und Ängsten gesteuerten Menschen zu stellen.

Erzählen Sie Ihre Geschichte!

Liebe Leserinnen und Leser, wir wollen nicht wegschauen, sondern Ihre Geschichte erzählen. Haben Sie Rassismus und Diskriminierung erfahren müssen? Schicken Sie uns eine Mail an wir@derwesten.de – gern mit einem Foto. Wir möchten Ihre Zuschriften veröffentlichen. Kürzungen behalten wir uns vor.