Gelsenkirchen. . 1880 gründete Isaak Neuwald sein Bettenfachgeschäft an der Arminstraße. Die Geschichte des Unternehmens über die Jahrzehnte ist eine atemberaubende.

Es gab Zeiten, da schlief in Gelsenkirchen quasi jeder mit einem Oberbett von Betten Neuwald. Isaak Neuwald hatte das erste Bettengeschäft anno 1880 an der Arminstraße gegründet – es blieb bis 1933 auch das einzige Bettenfachgeschäft in der Stadt. Federbetten, Kopfkissen, Bettwaren aller Art inklusive Nacht- und Bettwäsche. Die Federn konnten natürlich auch pfundweise gekauft werden, Inlays, also der Bezug der Federbetten und -kissen, wurden nach Wunsch befüllt und auch gewaschen bzw. gereinigt.

Leopold Neuwald übernahm das Geschäft vom Vater Isaak, ab 1923 war er alleiniger Geschäftsführer, baute es aus und hatte in den 20er Jahren bereits 30 Mitarbeiter. Im Ersten Weltkrieg hatte sich Leopold Neuwald als guter Deutscher erweisen wollen, zog für sein Vaterland in den Krieg und erhielt für seine Tapferkeit ein Ehrenkreuz. Es sollte ihm später nichts nutzen.

Nur zwei aus der Familie überlebten

Bald schon begann nach 1933 die Hetze gegen jüdische Geschäftsinhaber. Den Mitarbeitern wurde nahegelegt, nicht mehr für jüdische Besitzer zu arbeiten, den Kunden, anderswo zu kaufen. Die Neuwalds jedoch hofften auf ein vorübergehendes Phänomen, konnten nicht glauben, dass so etwas sich durchsetzen könnte.

Bis zu jener Nacht, in der auch in Gelsenkirchen die Synagoge brannte und jüdische Geschäfte zerstört wurden. Am 9. November 1938 stoben die Bettfedern durch die Arminstraße. Für Kurt Neuwald fühlte es sich an, als würde die ganze Existenz der Familie davonfliegen. Ein SA-Mann, der neben den Großeltern über dem Geschäft lebte, rettete immerhin die Privatwohnung vor der Zerstörung.

Am Anfang wurden die Matratzen mit Pferdefuhrwerken ausgeliefert, später mit diesem VW-Bulli.
Am Anfang wurden die Matratzen mit Pferdefuhrwerken ausgeliefert, später mit diesem VW-Bulli. © Neuwald

Ein Neuanfang in der Heimat „damit Hitler nicht recht behielt“

Das Haus musste im Zuge der „Arisierung“ weit unter Wert verkauft werden, die Männer wurden zu schwerer, kaum bezahlter Zwangsarbeit verpflichtet. Kurt Neuwald, der bisher als Mit-Geschäftsführer im elterlichen Geschäft Betten und Federn verkauft hatte, musste im Bergbau schuften. Er war 36 Jahre alt, als er Ende Januar 1942 mit der ganzen Familie nach Riga deportiert wurde. Seine erste Frau Rosa starb dort, ebenso wie der Rest der Familie. Nur Kurt und sein Bruder Ernst überlebten. Kurt Neuwald durchlief mehrere Konzentrationslager, meldete sich in Riga für die Arbeit als Kfz-Mechaniker für den Heereskraftwagenpark. Er kannte sich mit Autos nicht aus, was der Meister in der Werkstatt auch sofort bemerkte. Doch er verriet den ausgehungerten Mann nicht, nahm ihn auf.

Fuhrpark, Wäscherei, Lager, Näherei – das Unternehmen hatte in den ersten Jahrzehnten bis zur zerstörung durch die Nationalsozialisten zahlreiche Unternehmensvereich.
Fuhrpark, Wäscherei, Lager, Näherei – das Unternehmen hatte in den ersten Jahrzehnten bis zur zerstörung durch die Nationalsozialisten zahlreiche Unternehmensvereich. © Neuwald

Im April 1945 kehrte Kurt Neuwald nach der Befreiung nach Gelsenkirchen zurück – als einer der sehr wenigen jüdischen Überlebenden, di ean ihren Heimatort zurückkehrten. Neuwald wollte hier einen Neuanfang wagen – damit Hitler nicht Recht behielt und Deutschland „judenrein“ wurde. Er gründete ein jüdisches Hilfskomitee, aus dem die jüdische Kultusgemeinde Gelsenkirchen hervorging, die heute seine Tochter Judith leitet.

Fast bis zur Jahrtausendwende gab es Bettwaren an der Arminstraße

Kurt Neuwald heiratete Cornelia, eine rumänische-ungarische Jüdin, die in einem Buchenwald-Außenlager am Gelsenberg in Horst als Zwangsarbeiterin gefangen war, und bekam mit ihr zwei Töchter. Die eine, Judith Neuwald-Tassbach, geboren 1959, ist bis heute die Vorsitzende der neuen jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen. Es war ihr wichtig, die Arbeit des Vaters fortzusetzen, der ihr trotz aller seiner Leiden eine sorglose Kindheit geschenkt hatte. Sie nie fühlen ließ, welche Eltern von Schulfreunden ihn einst verhöhnt und gequält hatten.

Der Vater hatte sich nach dem Krieg nicht nur um die Gemeinde gekümmert, sondern 1948 auch das Bettengeschäft wieder aufgebaut. Um 1960 eröffnete der Neubau an der Arminstraße. Kinderbetten, Rheumadecken, Kinderwäsche – alles gab es hier wieder. Aber nicht lange unter der Führung der Neuwalds selbst. 1969, nach dem Tod seiner Frau Cornelia, verpachtete Kurt Neuwald das Geschäft. Betten und alles was dazu gehört gab es hier noch fast bis zur Jahrtausendwende, lange auch unter dem Namen Neuwald.

Ehrenbürger der Stadt seit 1994

Kurt Neuwald bekam in seinem zweiten Leben in Gelsenkirchen Verdienstkreuze und -orden auf Landes- und Bundesebene für seine großen Verdienste um die Versöhnung. Gelsenkirchen dankte ihm mit der Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt. Als Neuwald im Jahr 2001 starb, verkaufte die Familie das Haus an der Arminstraße.