Gelsenkirchen. Die Stadt Gelsenkirchen kaufte das Gemälde „Bacchanale“ von Lovis Corinth im Jahre 1957 fürs Kunstmuseum. Dabei handelt es sich um Raubkunst der Nazis. Erben der jüdischen Besitzer fordern das Bild, eines der wichtigsten in der Sammlung, nun zurück. Verhandlungen mit den Anwälten laufen.

Schock fürs Kunstmuseum und die Stadt Gelsenkirchen: Bei dem berühmten und kostbaren Gemälde „Bacchanale“ von Lovis Corinth handelt es sich um Raubkunst der Nazis.

Die Erben der jüdischen Eigentümerfamilie fordern das Gemälde, eines der wichtigsten in der Sammlung, nun von der Stadt zurück. Die Verhandlungen mit dem Anwalt der Erben in Berlin laufen.

Und das ist, so die Recherche der WAZ, die schreckliche Geschichte des Bildes: Bis Frühjahr 1936 befand sich das Werk unbestritten im Besitz der jüdischen Familie in Berlin. Wegen der Nürnberger Rassegesetze der Nazi-Schergen musste die Familie ihr Geschäft und ihren Haushalt, darunter der Corinth, zwangsversteigern.

Ermordet in Auschwitz

Danach gelang der Familie zunächst die Flucht nach Amsterdam. Aber auch die brachte nicht die erhoffte Rettung. Die deutsche Wehrmacht marschierte in die Niederlande ein, verfolgte auch dort die Juden. Die Familie wurde 1942 in verschiedene Konzentrationslager deportiert. Die Kinder wurden in Ausschwitz ermordet, der Vater 1945 in Bergen-Belsen. Nur eine Tochter überlebte.

Diese Tochter (sie starb 1971) vermachte ihr Erbe testamentarisch an einen Großneffen und eine Großnichte, da keine Verwandten in direkter Linie mehr lebten. Bereits 1962 erhielt die Erbin des Corinth-Gemäldes nach dem Bundesentschädigungsgesetz die von ihr benannte Summe für das Bacchanale-Bild als sogenannte Entschädigung und verzichtete danach auf alle weiteren Ansprüche.

Gerechte und faire Lösung

Ihre Erben aber erheben nun Anspruch auf das Werk und berufen sich dabei auf die „Washingtoner Erklärung“. Die sieht im Sinne einer gerechten und fairen Lösung vor, Raubkunst an legitimierte Erben zurückzugeben.

Im nichtöffentlichen Teil informierte die Verwaltung die Mitglieder des Kulturausschusses kürzlich über den Stand der Verhandlungen und legte den Bürgervertretern auch die oben beschriebene Geschichte des Bildes vor.

Der Kulturausschussvorsitzende Klaus Hermandung bestätigte auf Nachfrage die Recherche der WAZ. Im Ausschuss sei es aber vor allem um den Auftrag an die Verwaltung gegangen, weiter zu verhandeln: „Beim Kauf des Bildes ist wohl nichts falsch gemacht worden, dennoch gibt es eine moralische Verpflichtung, das Bild abzugeben.“ Das sei im Ausschuss nicht kontrovers diskutiert worden.

Wie die WAZ zudem erfuhr, haben die Erben der Stadt angeboten, das Bild für rund eine Viertelmillion zu kaufen. Diese Summe aber gibt der Gelsenkirchener Haushalt nicht her, wie Verwaltungskreise bestätigen. Es heißt dort aber auch, dass man zumindest versuchen wolle, die zukünftigen Besitzer des Bildes zu verpflichten, die „Bacchanale“ ab und zu der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Erst kürzlich hatte das Kunstmuseum das attraktive Werk in große Ausstellungen nach Hamburg und Dresden ausgeliehen. Es zählt zum Sammlungsschwerpunkt Klassische Moderne.

Gekauft in einer Kölner Galerie

Wer war der Künstler, um dessen Werk sich heute alle großen Museen reißen? Der Maler Lovis Corinth wurde 1858 in Ostpreußen geboren und starb 1925 in den Niederlanden. 1901 zog Corinth nach Berlin. Dorthin, wo einst die jüdische Familie das Bild für sich erwarb.

Lovis Corinth zählt längst zu den wichtigsten Vertretern des deutschen Impressionismus. Seine späteren expressionistischen Bilder galten den Nazis als „entartet“.

Lovis Corinth schuf seine üppige Malerei „Bacchanale“ im Jahre 1896. Das Ölgemälde auf Leinwand hat eine Größe von 1,17 Meter mal 2,04 Meter. Der Maler und Radierer setzte sich schon früh mit literarischen, biblischen, antiken und mythologischen Themen auseinander. Das Gemälde „Bacchanale“ zeigt nackte Figuren, beflügelt vom Trunke, mit dem Weingott Bacchus fröhlich und ausgelassen auf einer Blumenwiese tanzend. Die Stimmung schwankt zwischen Heiterkeit und Schrecken.

Die Stadt Gelsenkirchen kaufte das Werk im Jahre 1957 in einer Galerie in Köln zum Preis von rund 14 500 DM. Heute ist es natürlich ein Vielfaches mehr wert, vermutlich auch mehr, als die Erben dafür von der Stadt haben wollen.

In einer ähnlichen Situation wie die Stadt Gelsenkirchen war kürzlich Wiesbaden. Im Landesmuseum entpuppte sich ein Bild von Hans von Mareé als Raubkunst. Für 200.000 Euro konnte die Stadt den Erben das Bild abkaufen Das Geld kam je zu einem Drittel von der Kulturstiftung der Länder, vom Förderverein und von den Bürgern.

Lesen Sie auch