Die Soldaten des Ersten Weltkriegs erlebten an der Front ein grausiges Kontrastprogramm aus Kämpfen und Langeweile. Ein ungefährlicher Posten in der Schreibstube konnte lebensrettend sein. Bei der Infanterie eingesetzt zu werden, bedeutete dagegen, „in die Todeszone des Stellungskriegs“ zu geraten.
Kälte, Läuse, Kämpfe, Todesangst, aber auch – Langeweile: Es war ein grausiges Kontrastprogramm, das die Soldaten aus Buer im Ersten Weltkrieg an der Front erlebten. Losgezogen waren viele von ihnen noch voll patriotischer Überzeugung, bereit, „ordentlich dazwischen zu hauen“, wie Otto Schlatholt per Feldpost im August 1914 nach Hause schrieb. Schließlich galt es, die Feinde aus dem Vaterland fern zu halten. Am Ende zählte für die meisten Männer im Schützengraben aber nur noch eins: zu überleben.
9600 Männer zogen 1914 zur Front
Es dauerte kaum vier Monate nach Kriegsbeginn im August 1914, da war die Einwohnerzahl der damals noch selbstständigen Stadt Buer um etwa zehn Prozent reduziert. „Rund 9600 Personen oder 19,6 Prozent der männlichen Bevölkerung“ waren einberufen worden, berichtete Karl Russell, Erster Bürgermeister von Buer, Ende 1914 nach Münster. Die Zechen mussten auf bis zu 50 Prozent ihrer Belegschaft verzichten, die Stadtverwaltung auf die Hälfte ihrer Beamten, die Schulen auf ein Drittel der Lehrer, hat Dr. Daniel Schmidt, Historiker beim Institut für Stadtgeschichte (ISG), recherchiert.
„Die Schlacht war fürchterlich“
Was sie vor Verdun, an der Somme oder in Flandern erlebten, waren, so Schmidt, „schreckliche Materialschlachten“. So schüttete Albert Schossier seiner Mutter in Buer Mitte 1916 per Feldpostbrief sein Herz aus: „Drei fürchterliche Wochen liegen nun hinter mir, in der ich große Strapazen erduldet habe. Die Schlacht war fürchterlich, ein Artilleriefeuer, wie es die Welt noch nicht erlebt hat. So aufrichtig wie in diesen Tagen habe ich meine täglichen Gebete noch nie verrichtet. Und Gott hat mir geholfen, er hat mich Dir noch einmal geschenkt.“
So überzeugt Schossier von der Wirkung seiner Gebete war: „Letztlich hing das Überleben von Zufällen und Glück ab“, sagt Historiker Schmidt. Recht ungefährliche und daher sehr begehrte „Druckposten“ in der Schreibstube, Küche oder in einem Depot konnten lebensrettend sein, ebenso das Glück, eben nicht bei der Infanterie eingesetzt zu werden, bei der „in der Todeszone des Stellungskriegs“ besonders viele Soldaten starben.
Ungeziefer, Nässe und Kälte
Aber auch wer den Krieg überlebte, dürfte für sein Leben geprägt gewesen sein: Da war zum einen „die eintönige Frontroutine des Stellungskriegs mit ihren alltäglichen Entbehrungen wie Krankheiten und Ungeziefer, Nässe, Kälte und Hitze sowie den ständigen Anstrengungen beim Stellungsausbau“, so Daniel Schmidt. Dabei sorgten sich die Soldaten um das Wohl der Familie an der „Heimatfront“, oft kreisten die Gedanken auch um die Pakete mit Wurst und Brot, die sie aus Buer bekamen. Zum anderen war da aber auch der Tod als „allgegenwärtige Größe“. Aus unmittelbarer Nähe zu sehen und zu hören, wie Kameraden, gar Freunde blutüberströmt zusammenbrechen und schreien vor Schmerzen: Das wird die Angst vor dem eigenen Tod schier unerträglich geschürt haben.
Krieger wurden zu Kriegsgegnern
Angesichts der existenziellen Front-Erlebnisse war es kein Wunder, dass bei vielen die Kampfbereitschaft schwand, dass die Krieger zu Kriegsgegnern wurden: Sie sehnten das Ende der Kämpfe herbei. August Schossier formulierte es Ende 1916 in einem Brief an seine Mutter in Buer direkt: „Hoffentlich ist der Krieg nun bald vorbei. Ich habe den Schwindel richtig satt.“ Es sollte fast zwei Jahre dauern, bis August Schossier zurückkehren konnte.
Feldpostbriefe von der Front
Die zitierten Feldpostbriefe finden sich mit vielen anderen von Soldaten aus Gelsenkirchen, Buer und Horst in der neuesten Publikation des Instituts für Stadtgeschichte.
Herausgeber ist der ISG-Historiker Daniel Schmidt: „Bin gesund und munter. Gelsenkirchener Feldpost aus dem Großen Krieg 1914-1918“, Essen 2014 (ISG-Reihe, Bd. 11; 19,90 Euro).
Andere Soldaten mussten noch länger ausharren, hinter Stacheldraht: Friedrich Grau, später Mitbegründer der CDU in Buer, war Ende 1914 in britische Kriegsgefangenschaft geraten und kam 1919 frei; der spätere Stadtrat Paul Schossier wurde gar erst 1920 – nach sechs Jahren – aus französischer Gefangenschaft entlassen. Insgesamt dürften mehr als tausend Bueraner in Gefangenschaft geraten sein, so Schmidt; etwa 6000 wurden verwundet.
Von 18 000 Bueranern kehrten 2700 nicht mehr zurück. Die Eltern des Bergmanns Emmanuel Mrugalla erfuhren es per Feldpost von dessen Schwager im März 1915, dass „Emanuel den Heldentot fürs Vaterland gestorben ist“. Die Trauer und Verzweiflung der Eltern allerdings, sie ist nicht überliefert.