Gelsenkirchen-Buer. . Theodor Althoff eröffnete am 13. Dezember 1912 ein Großstadt-Warenhaus, das schon bald erweitert werden musste. In den „Riesenbau“ von damals zieht bald neues Leben ein. Mit rund 70 Angestellten auf etwa 2000 Quadratmetern Verkaufsfläche war es vor 102 Jahren nach Essen das zweite Althoff-Warenhaus.
Tausendfach – alles unter einem Dach: Die Parole, mit der die Konkurrenz in den 1970er Jahren Werbung machte, galt für lange Zeit allemal auch für die Warenhäuser des Karstadt-Konzerns. Was gegen Ende des 19. Jahrhunderts Rudolph Karstadt zunächst in Wismar und fast zeitgleich Theodor Althoff dann in Dülmen erprobten, sollte über 100 Jahre fast unverändert den Einzelhandel bestimmen und die Innenstädte mit Leben füllen: ein Warenhaus, das keinen Wunsch der geschätzten Kundschaft offen ließ.
Das war auch in Buer der Fall, als Theodor Althoff nach dem Limbecker Platz in Essen in einem Jahr sein zweites Warenhaus am 13. Dezember 1912 an der Hochstraße mit rund 70 Angestellten auf etwa 2000 Quadratmetern Verkaufsfläche eröffnete. Erst recht galt dieses Prinzip für den „neuen Riesenbau in Buer“, wie die Horster Zeitung im September 1929 die Erweiterung des Althoffschen Warenhauses beschrieb.
„In mustergültiger Ordnung“
Die Begeisterung des Chronisten kennt keine Grenzen: Er lobt den „ruhigen, vornehmen Baustil, die große Übersichtlichkeit und praktische Raumeinteilung“ des jetzt 8000 Quadratmeter großen Hauses, das noch bis in die 1960er Jahre unter Althoff firmiert, aber längst ein Teil der großen Karstadt-Familie geworden ist. Im Erdgeschoss sind seiner Aufzählung nach „die Textilläger, Baumwollwaren, Kleiderstoffe, Seide und Waschstoffe untergebracht, sodann weiter die Herren-Artikel, Schirme, Stöcke, Trikotagen, Wollwaren, Strümpfe, Lederwaren, Handschuhe, Parfümerie, Bijouterie, Schreibwaren und Kurzwaren“. Das alles in „mustergültiger Ordnung in Bezug auf Lage der Abteilungen und Einordnung der Ware“.
Im ersten Obergeschoss finden sich „Damen-Konfektion und Damen-Putz, Herren-Konfektion, Schuhe und Handarbeiten“, im zweiten Obergeschoss, „ganz entzückend aufgemacht“, die Spielwaren-Abteilung, ferner Gardinen und Teppiche und „als neue Abteilung der Fa. Althoff der Erfrischungsraum“. Ein „außerordentlich bequemer Raum, in dem gewiss jede Besucherin des Warenhauses gern bei einer kleinen Erfrischung ein Viertelstündchen verweilen wird“.
Aufs Modernste eingerichtet ist die angeschlossene eigene Konditorei, zudem gibt es eine Stadtküche, „die sicherlich viel Anklang finden wird“. Im obersten Stockwerk finden sich Haushaltswaren und Lebensmittel, allerdings auf bedeutend erweiterter Fläche.
„Nur Fleisch erster Klasse“
Besondere Beachtung schenkt der Schreiber der Horster Zeitung der Frischfleisch-Abteilung, „in der nach einem alten Grundsatz der Firma nur Fleisch erster Klasse aus eigener Großschlächterei in Braunschweig zum Verkauf kommt, wie überhaupt der Karstadt-Konzern das Bestreben hat möglichst viel in eigener Fabrikation herzustellen“.
Zu dieser Zeit ist aus dem Wismarschen „Tuch-Manufaktur- und Confektions-Geschäft“ und dem Dülmener „Kurz-, Weiß- und Wollwarengeschäft“ nicht nur ein Konzern mit 89 Filialen geworden, sondern ein international auftretendes Unternehmen, das nicht nur mit Waren handelt, sondern diese auch selbst herstellt.
Karstadt betreibt eigene Baumwollspinnereien und Webereien, eine Druckerei und Papierwarenfabrik, eine Gardinenfabrik, eine Seifen- und Parfümeriefabrik, Fabrikationswerkstätten für Blech- und Lackierwaren, Koffer- und Lederwaren, Schuhe, Knabenkleidung, Berufskleidung, Mützen, eine Blaudruckfabrik und Leinenfärberei, eine Besatzfabrik, Polsterwerkstätten, Stickereiwerke, eine Konservenfabrik, Wurst- und Fleischwarenfabrik, eine Strumpffabrik und eine Schokoladenfabrik. Auf diese Weise konnte der Einkauf zentral gesteuert und die Unabhängigkeit von hausfremden Zulieferern ausgebaut werden.
Viele Krisen erlebt - und überlebt
Karstadt hat viele Krisen erlebt – und überlebt. Allein über das Haus in Buer wird berichtet von Plünderungen durch Spartakus-Revolutionäre, von Rückschlägen durch die beiden Weltkriege, von der Unterbringung der Verwaltung des Scholvener Hydrierwerks und von Betrieben der Bekleidungsindustrie. Das alles wirkte sich aber rückblickend betrachtet nicht so verheerend aus wie die schleichenden Veränderungen, von denen der Einzelhandel im Allgemeinen, der Karstadt-Konzern zusätzlich durch falsche oder zögerliche Entscheidungen in der fernen Essener Zentrale im Besonderen betroffen war: Das, was es früher nur unter dem Dach eines einzigen Warenhauses zu kaufen gab, wurde jetzt tausendfach an anderer Stelle besser und vielfach auch billiger angeboten: im Discounter, im Baumarkt, im Elektronikfachmarkt, im Warenhaus auf der grünen Wiese und nicht zuletzt auch im rund um die Uhr geöffneten Internet.
Am Ende kam auch für Karstadt in Buer das Aus in Raten – zunächst als Karstadt kompakt und ab Oktober 2005 dann ausgerechnet unter dem wiederbelebten Namen der ehemaligen Konkurrenz. Doch auch dieser letzte Reanimierungsversuch war zum Scheitern verurteilt: 2009 musste der britische Finanzinvestor Dawnay Day für seine Hertie-Häuser Insolvenz anmelden. In den Jahren danach war Karstadt in Buer nur noch Fassade, hinter der gelegentlich Weihnachtsschmuck verkauft und vorübergehend auch Möbel im Ausverkauf angeboten wurden.