Gelsenkirchen-Hassel. .

Im Ruhrpott gibt es eigentlich nur drei neuralgische Punkte, an denen das Leben pulsiert, und an denen man entsprechend ganz prima Feldstudien über das unreife Verhalten der Ureinwohner dieses Landstrichs machen kann: Der Kiosk anne Ecke (landläufig auch „Bude“ genannt), das Stadion und – richtig – der Baumarkt. Letzterem widmet sich das Rocktheater Tullux mit seinem neuen Programm, das am Freitagabend GE-Premiere feierte.

Im und um den Brummer, dem zwar fiktiven aber nicht minder repräsentativen Heimwerkerparadies, das am Wochenende seine Pforten im Hasseler Bonhoeffer-Haus öffnete, lernen wir zwei Stunden lang liebevoll gestaltete Charaktere kennen, die man auch abseits des Bonnis an jeder Ecke trifft. Da ist zum Beispiel Renate, ihres Zeichens Betreiberin der „Currywurstbombe“, deren Kaffeemaschine defekt ist, weshalb die Kundschaft auch auf ihr „Käffchen to go“ verzichten muss. „Gibt’s nur noch für unnawegs.“ Oder die Mitarbeiterinnen der Servicetheke des Brummers, die heftigst lispelnd herrlich lasziv am welken Duschschlauch des beschwerdeführenden Kunden herumspielen.

Nicht nur der kleine Mann, auch die große Politik wird als „Tullux“ entlarvt. So entspannt sich zwischen zwei altgedienten Genossen am SPD-Stand folgender Dialog: „Wie, Du hast doch wohl nicht der Politik komplett den Rücken gekehrt?“ - „Doch. Ich bin jetzt in der FDP. Auf 400-Euro-Basis. Die brauchen immer wieder Leute, damit es an ihren Info-Ständen voller aussieht.“

Viel Liebe zum Detail

Das hätten auch die Hildebrandts, Pispers und Priols dieser Welt nicht schöner formulieren können. Überhaupt merkt man, dass die Tulluxe nicht nur ein paar Ruhrpott-Plattitüden mit entsprechendem Dialekt abspulen, sondern sich mit viel Liebe zum Detail an ihre Texte gemacht haben. Und man kann etwas lernen. Zum Beispiel, warum elektrische Geräte allerspätestens mit Ablauf der Werksgarantie kaputtgehen (kleiner Tipp: Die Chinesen tragen zumindest eine Teilschuld) oder weshalb auch der Bohrmaschinenhersteller Unfallkliniken betreibt, in denen der lädierte Heimwerker unter den fachkundigen Händen von Dr. Svetlana die abgesägte Hand wieder anmontiert bekommt.

Natürlich darf beim Tullux-Theater auch die Musik nicht fehlen. Diesmal trifft es Udo Lindenberg oder auch die immer wieder gern genommene „Lady Marmalade“ (die mit „voulez vous couchez“ und so weiter) muss dran glauben, durch den Comedy-Wolf gedreht zu werden. OK, Text und Töne sitzen nicht immer so gaaaanz hundertprozentig, aber das spielt nun wirklich keine Rolle, sofern es überhaupt auffällt. Schließlich darf man nicht vergessen: Obwohl das Tullux-Theater mittlerweile schon seit über 20 Jahren mit einem guten Dutzend Programme die Bühnen Hassels und Umgebung unsicher macht, nach wie vor sind hier erklärte Amateure und keine ausgebildeten Schauspieler am Werk, die ihren professionellen Artgenossen allerdings in nichts nachstehen.

Nach der obligatorischen Zugabe mit „Szenen einer Ehe“ („Du Schatz: Würdest du mit anderen Frauen schlafen, wenn ich tot bin?“ - „Liebling, dafür musst Du doch nicht erst sterben!“) fragen sich deshalb nicht wenige der rund 100 Zuschauer im ausverkauften Dietrich-Bonhoeffer-Haus: „Wer war eigentlich noch mal dieses Rocktheater N8chtschicht?!“